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Wandersegelflug im April

Conrad Hartter berichtet von seinem spannenden Wandersegelflug. Wie hat er die Abschirmung auf dem Heimflug ausgetrickst? Wir haben nachgefragt.
Wandersegelflug im April

Am Freitag, den 14.04.2023, startet Conrad Hartter vom Farrenberg (BaWü) zu einem Wandersegelflug nach Langenfeld (NRW) und trotzt dabei den ungewissen Wetterprognosen der folgenden Tage. Aufgrund der Vorhersagen wird schon am nächsten Tag die Chance für den Rückflug ergriffen. Conrad flieht zunächst vor der nahenden Front nach Westen, bis es heißt, sich in die Abschirmung zurück nach Osten zu stürzen. Es beginnt ein zäher Kampf im schwächsten Wetter, doch der Wille, den Jet der JS1C nicht zu zünden, scheint ungebrochen. Ohne Heimkehrhilfe schafft Conrad es zurück zum Farrenberg. Was für ein Erlebnis!

Hey Conrad, wir gratulieren dir zu deinem Abenteuer! Hast du dich mittlerweile erholt?

Danke, es war wirklich ein tolles Erlebnis! Tatsächlich habe ich mich dann am Sonntag erstmal ein bisschen ausgeruht.

Wie sah denn deine generelle Planung aus, war Langenfeld das Ziel deiner Wahl?

Ja Langenfeld war das Ziel. Martin Knops hatte ich letztes Jahr in Jena kennengelernt. Er fliegt auch seine JS1 mit Begeisterung und so entstand die Idee uns mal gegenseitig zu besuchen. Es erleichtert natürlich den Wandersegelflug ungemein, wenn am Ziel die ganze Ausrüstung wie passender Kuller, Schleppstange und für alle Fälle die JS1-Spritpumpe und die passenden Jaxida-Bezüge vorhanden sind. Da ich mich nicht auf bestimmte Tage fixieren muss, geht das auch in April-Wetter. Es gibt entweder Regen oder frische labile Kaltluft. Man
muss nur die zeitlichen und örtlichen Lücken zwischen den Regengebieten nutzen. Mit den Vorhersagen, die kurzfristig ja recht präzise geworden sind, sowie live-Wetter auf dem Handy im Cockpit ist das nicht so schwer. Martin hatte sich das Wochenende freigehalten und ich mir von Donnerstag bis Donnerstag. Je näher unser Termin kam, um so besser wurden die Thermikprognosen für den Freitag.
Damit war der Hinflug am Freitag eine attraktive Nummer. Als Martin dann am Telefon sagte: "du bist bei uns in Aachen solange willkommen wie du willst", war die Entscheidung einfach. Martin verlegte einen wichtigen Termin auf Freitag Vormittag und wir verabredeten, uns in der Luft zu treffen. Auch wenn das Wetter für die Folgetage ziemlich ungewiss war, als Rentner habe ich zum Glück den nötigen Freiraum, es einfach zu versuchen und ich habe es nicht bereut!

Das glauben wir aufs Wort! Nun erstmal zum Hinflug. Der ist weitestgehend problemlos verlaufen?

Naja, wie am Anfang der Saison üblich, ist man noch nicht vollends routiniert. Als mich mein Fliegerkamerad Bernd Gauger um 11:30 Uhr schleppte, zeigte sich die Fahrt und die Vario-Anzeige auffällig träge. Nach kurzer Rücksprache mit Bernd landeten wir beide noch einmal und siehe da, die Düse war nicht bis zum Anschlag eingesteckt. Doch Bernd und seine Tochter, die als Starthelferin mitgekommen war, nahmen es gelassen und beim zweiten Schlepp war dann auch alles in Ordnung. Danke euch beiden für die Unterstützung! Kurz vor 12 Uhr klinkte ich aus und die Reise ging los Richtung Norden.

Wie ging es weiter? Das Satellitenbild zu deiner Startzeit sah ziemlich feucht aus.

Die Feuchtigkeit in der Luft sorgte für viele Wolken, aber einige zogen bereits gut. Mein erster Bart brachte ein Steigen von 2,6 m/s über 900 Meter – da kann man nicht meckern!

Die Sicht wurde immer besser und es lief prima. In Lachen-Speyerdorf hatte ich jedoch noch einen kleinen Absitzer. Die Wolken waren dort lokal breitgelaufen und ich hatte zunächst die falsche Seite erwischt. Also musste ich vom Kurs abweichen und erst einmal an Höhe gewinnen, denn man möchte nicht zu tief über den Pfälzer Wald fliegen.

Der restliche Teil des Fluges schaut problemlos aus und wir haben gesehen, dass du dich mit Martin schon in der Luft getroffen hast.

Genau, nach etwa 3,5 Stunden traf ich dann Martin in der Nähe von Aachen. Er hatte es geschafft um 13:30 Uhr am Flugplatz zu sein und samt Flugzeug-Aufbau aus dem Hänger, um 14:30 Uhr zu starten! Denke da hat die gute Wetteroptik auch ein bisschen zu beigetragen. Der Tag war noch jung, sein Vorschlag: " Lass uns noch eine Runde um Köln fliegen". Die haben wir dann sogar noch etwas ausgeweitet. Ich bekam eine Sightseeing-Tour über das Sauerland und eine Einweisung in die abendliche Verlängerung der Strecke durch die Industriethermik.

Hattest du in Langenfeld einen würdigen Empfang?

In der Tat! In Langenfeld war zu diesem Zeitpunkt Osterlager, und ich traf auf eine super hilfsbereite Jugendgruppe, die gleich Ideen entwickelte, wie mein 21m-Gerät noch in die Halle geschachtelt werden könnte. Ich bin wirklich schon auf vielfältigste Art und Weise gereist, doch so eine Reise im Segelflugzeug ist einfach nicht zu überbieten!

Wo konntest du denn nächtigen, nach dem langen Tag im Cockpit?

Martin nahm mich mit nach Aachen, wo er das Gästezimmer schon vorbereitet hatte. Wandersegelflug „de Luxe“! Wir konnten noch unsere schönen und freudigen Flugerlebnisse teilen und fielen dann schnell ins Bett.

Nun zur Heimreise. Besonders lange warst du ja nicht im Rheinland. Wie sahen die Wetterprognosen aus?

Schon bei der Planung daheim war mir klar, dass es nicht einfach wird. Im Prinzip war die Rückreise ungewiss, da zu diesem Zeitpunkt für Sonntag ein Kaltlufttropfen vorhergesagt war, der die Prognosen für alles was 24 Stunden vorauslag ziemlich unzuverlässig machte. Das Risiko vom Zwischenparken im Regen und eine eventuelle Zugreise zum Hänger wollte ich ja schon möglichst minimieren.

Abflug am Samstag

Schon beim Aufstehen checkte ich natürlich die neuesten Vorhersagen. Die beste Chance dafür zeigte sich in der 5-Tages-Prognose von Sky-Sight und Top-Meteo dann gleich am Samstag. Ich hätte die Gastfreundschaft von Martins Familie
gerne noch länger genutzt, aber der Samstag bot eben doch die zuverlässigste Rückflug-Chance. Martin hat mich wieder ein Stück begleitet und einen schönen Kommentar geschrieben, den ich euch nicht vorenthalten möchte:

"Auch so kleine Strecken zu fliegen kann toll sein! Auf den heutigen Tag hätte ich keinen Pfifferling gegeben. Aber die Aussichten für die Folgetage waren noch übler und Conrad suchte nach einer Gelegenheit, wieder nach Tübingen zurück zu fliegen. Also Aufbauen und schauen, ob wir mit Hilfe des Jets Anschluss an die Industriethermik im Westen bekommen können, um dann irgendwie den Einstieg in die Ardennen schaffen, die noch einigermaßen fliegbar angekündigt waren. Den Jet haben wir dann gar nicht gebraucht und direkt aus der Winde Thermikanschluss gefunden. Unter der massiven Abschirmung bildeten sich tatsächlich Cumulanten, wenn auch nur mit 800m Basis… So haben wir uns langsam nach Westen vorgearbeitet und schließlich mit 1000m NN zum Vorflug in das Hohe Venn angesetzt. Diese Hochebene liegt immerhin 600m über NN… dort strahlte die Sonne aber fast ungestört ein und ganz weit im Südwesten lockten sogar hohe Cumuli. Diese erreichten wir schließlich und wurden kurz vor der Luxemburgischen Grenze auf fast 2000m katapultiert. Hier trennten sich unsere Wege. Conrad flog Richtung Saarland mit Fernziel Farrenberg bei Tübingen. Der Plan war eigentlich nur so weit zu kommen, dass die 40 Liter im Tank des Jets für die Heimkehr reichen." - Martin Knops -

Mal ein kurzer Exkurs zur JS1C 21M. Wie weit würdest du in dieser Konfiguration mit 40 Liter kommen?

Für maximale Reichweite steigt man mit dem Jet möglichst hoch mit 160 km/h. Da bringt er 1m/s Steigen. Dann gleitet man mit der Geschwindigkeit für bestes Gleiten und kommt so mit einem Tank auf 230 km. Bei dem Rückenwind am Samstag wären es ca. 280km gewesen.

Nun gut, zurück zum Weiterflug in Richtung Heimat. Wir denken, es ist an der Zeit mal den Sattelitenfilm laufen zu lassen.

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Der Kampf mit der Front

Schon unser Flug von Langenfeld in die Ardennen, bestätigte die Vermutung, dass unter der Abschirmung vor der von Nordosten aufziehenden Front immer noch die thermisch tolle Kaltluft vom Vortag vorherrschte. Darauf basierte dann die Entscheidung zum Weiterflug Richtung Heimat. Ich musste nur vor dem Regen am Farrenberg ankommen - Der war für 18 Uhr prognostiziert. Der Korridor, in dem ich fliegen konnte, war schmal. Der Luftraum von Luxemburg und Frankreich begrenzten mich Richtung Westen, wo übrigens eine super Wetteroptik vorherrschte. Richtung Osten begrenzte mich die dicker werdende Abschirmung. Bis zum Pfälzer Wald lief alles prima. Dann zwang mich der Grenzverlauf und die nördliche Umrundung von Karlsruhe zum langen Gleiten in die "thermisch tote, feuchte Suppe" Richtung Schwarzwald.

Welche Optionen hattest du dir an dieser Stelle parat gelegt?

Nun, Option A war natürlich ausreichend hoch im Schwarzwald anzukommen und irgendwie Anschluss zu finden. Nach Süden ins Rheintal zu tauchen und den Jet von Rheinstetten aus zu starten, war ein solider Plan B. Aber die JS1 hielt, was die Polare verspricht, und über den ersten Ketten des Schwarzwalds waren tatsächlich tiefe Schleier auszumachen. "Mit gutem Willen sehen sie doch wie Quellungen aus", dachte ich mir hoffnungsvoll.

Was für eine Erklärung hattest du für diese Quellungen, um dir Mut zu machen?

Der Wind blies mit 30 km/h aus Nordwest und es gab absolut keine Einstrahlung. Die Quellungen konnten also nur dadurch entstehen, dass Luftpakete im Hangwind soweit angehoben wurden, bis ihre Temperatur in der labilen Luft über der Umgebungstemperatur lag und sie dann zu Thermik mutierten.

Der Anstehende Teil des Fluges sieht wirklich kräftezehrend aus. Was ging dir da durch den Kopf?

Das ist Richtig. Es folgte ein halbstündiger Kampf in drei Kategorien: Fliegerisch mit den Turbulenzen im schwachen Steigen über den dort alles andere als geradlinigen Kämmen. Taktisch war ich geplagt von der Versuchung, das Rheintal als Plan B aufzugeben, um zu den besseren Quellungen in den Schwarzwald reinzufliegen. Dort gab es aber kaum mehr Landemöglichkeiten und gegen den Wind auch keine sichere Rückkehr. Und innerlich ertappte ich mich: "Leg doch jetzt nach 11 Stunden Flug der letzten zwei Tage einfach den Jet-Schalter auf ON!", aber: "Der Besuch in Langenfeld und das Fliegen mit Martin waren bis jetzt so elegant gelaufen, da wäre es doch klasse, diesen Wandersegelflug ohne Jet zu vollenden!

Kampf um den Schwarzwaldeinstieg 

Also holte ich nochmal gegen den Kurs nach Westen aus, um eine bessere Quellung zu finden, die auch Plan B absicherte. Dort nutzte ich dann meine verbliebene Konzentration, um die ersten 100 Meter zu überwinden. Danach konnte es nur besser werden, und es klappte tatsächlich! An der Basis fehlten nur noch 400 Meter für einen Direktanflug auf den Farrenberg. Von Norden zogen zwar Niederschlagsschleier auf Kurs heran, aber ich musste wegen des Luftraums Stuttgart sowieso etwas nach Süden ausweichen. Bei diesem Wind sollte die noch weiter südlich liegende Albkante sicher auch noch Hangaufwind bieten. Die vereinzelten Quellungen ritten durch den Wind fast über den Schwarzwald hinweg und waren die letzten des Tages. Doch ich hatte knapp Endanflughöhe. Der Rückenwind und etwas Tragen am "Rammert" brachten dann noch 250 Meter für einen entspannten Anflug. Der Farrenberg war frei, und der Hangwind der Alb blieb mal wieder ungenutzt. Die Hallentore standen noch offen und das geniale Reisegefährt war schnell verstaut. Mit Vereinskameraden die Story und das innere Grinsen teilen zu können und darauf anzustoßen waren der denkbar beste Abschluss dieses Ausflugs.

Noch ein letzter Exkurs - Lokalwissen ist schließlich immer spannend! Was ist der "Rammert" und in welchen Situationen lohnt es sich ihn zu nutzen?

Der "Rammert"

Der Rammert ist ein der Alb vorgelagerter 50m hoher Waldrücken. Bei diesem Flug stand nur der NO-Wind direkt drauf. Von zu Hause in Tübingen liegt er aber seit Kindheit direkt vor meinem Blick zum Farrenberg und statt Hausaufgaben, beobachtete ich lieber, wie sich darüber die Cumulus Wolken bildeten. Die Albkante ist zwar aktiver, aber nach ihr entwickeln sich die Wolken über dem Rammert und danach erst über dem Tübinger Schlossberg.

Nochmals Gratulation, Conrad! Wir wünschen dir viele schöne Flüge in 2023. Noch ein letztes Wort?

Ja herzlichen Dank! Die Flexibilität, die eigene Planung den natürlichen Gegebenheiten unterzuordnen, ist eine Vorraussetzung für solche Erlebnisse.
In der kommerziellen Luftfahrt und oft genug im Leben machen wir es ja umgekehrt und verwenden viel Energie um unseren Plan gegen alle denkbaren Natur-Phänomene abzusichern und pünktlich durchzuziehen. Es macht einfach glücklich, die Chancen, die die Natur uns bietet, auf diese Art nutzen zu können. Segelfliegen bietet auch mit den modernen Hilfsmitteln hierfür ein riesiges Potential. Um so schöner, wenn man auf Fliegerkameraden und Gastgeber trifft die das unterstützen, sowie auf Portale wie WeGlide, die es einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.