Next Year of Gliding | BLACK DEAL Aktion
Bert Schmelzer ist nicht nur einer der prägendsten Segelflugpiloten Europas – er zählt auch zu den wenigen, die fliegerische Präzision mit echter erzählerischer Kunst verbinden. Erst vor Kurzem erschien ein ausführlicher Bericht und ein Interview mit ihm im WeGlide-Magazin. Schon sein erstes Buch „One Year of Gliding“ zeigte, wie eindrucksvoll er Atmosphäre, Technik, Emotion und Humor zu Geschichten verdichtet, die weit über das reine Flugerlebnis hinausgehen.
Mit „Next Year of Gliding“ setzt Schmelzer diesen Ansatz fort. Das Coffee-Table-Buch liegt nun zweisprachig (Deutsch/Englisch) in einem Band vor und wurde in Zusammenarbeit mit dem VIENTO-Verlag um zahlreiche neue Erzählungen erweitert. Es zeigt erneut, wie virtuos der Pilot zugleich Autor ist – mit einem Stil, der sowohl Piloten als auch Leser ohne fliegerischen Hintergrund fesselt.
Der folgende Auszug stammt aus einer seiner schönsten Geschichten: „Belgian or Swiss Chocolate?“ – ein außergewöhnlicher Flug über 1046 km von der Schweiz nach Belgien, erzählt mit Schmelzers unverwechselbarem Blick für Landschaft, Atmosphäre und die feinen Details, die aus einem Flug ein Erlebnis machen.
Mehr Geschichten und Hintergründe findet ihr im vollständigen Buch, erhältlich im Viento Store. Aktuell als BLACK DEAL mit Segelflugkalender on top und 36% Rabatt erhältlich ⬇️


„Belgian or Swiss Chocolate?“ – Auszug aus dem Buch »Next Year of Gliding« von Bert Schmelzer
Seit einigen Jahren bieten unsere Online-Flugportale noch nie dagewesene Möglichkeiten. Eine Analyse der Gebiete, die von meiner Heimatbasis Hausen am Albis (CH) aus erreichbar sind, zeigt zum Beispiel, dass es einer der attraktivsten Orte in Europa für abenteuerliche und vor allem abwechslungsreiche Flüge ist. Wellenflüge bei starkem Föhn zwischen Albertville und Wien, die Dolomiten als UNESCO-Weltnaturerbe, die thermisch attraktiven Mittelgebirge Jura, Schwarzwald und Schwäbische Alb, die Wasserkuppe als Wiege unseres modernen Segelflugs und la douce France sind alle in Reichweite. Insgesamt umfasst dieses Gebiet eine riesige Fläche von ca. 400.000 km². Mit ein bisschen Fantasie lässt sich ein wunderbares Menü mit den lokalen Spezialitäten zusammenstellen: Wiener Schnitzel in Österreich, Pasta in Italien, Fruits-de-Mer in Südfrankreich, … Nur das Dessert fehlt noch. Was wäre da besser geeignet als belgische Schokolade, die beste der Welt (sorry, Schweizer Freunde). Um diese Lücke zu schließen, reifte seit einiger Zeit der Plan, meine Wurzeln auf dem Luftweg zu besuchen.

Seit ich im Jahr 2011 in die Schweiz gezogen bin, beschränkten sich die Besuche in Belgien auf die Teilnahme an den nationalen Meisterschaften, die meist im Süden des Landes veranstaltet werden. Saint-Hubert liegt in den wunderschönen Ardennen und ist zweifellos einer der attraktivsten Flugplätze, auf denen ich je gewesen bin. Für diejenigen, die mit der belgischen Segelflugszene vertraut sind, ist es wahrscheinlich wenig überraschend, dass meine Besuche ziemlich spärlich ausfallen, denn der komplexeste Luftraum Europas ist für uns Segelflieger nicht sonderlich attraktiv. Die thermischen Bedingungen, vor allem in Flandern, sind auch nicht besonders beeindruckend. Die positive Seite der Geschichte ist jedoch, dass der durchschnittliche belgische Segelflieger wenig Mühe hat, schöne Flüge in anspruchsvoller Thermik und Luftraum zu realisieren. Das zeigen die vielen 1.000 km-Flüge der letzten Jahre, sogar mit Segelflugzeugen der Standardklasse.
Die Ardennen sind jedoch eine andere Geschichte. Vor allem an Wochenenden ist der Luftraum oft bis FL 90 verfügbar und die thermischen Bedingungen gehören an guten Tagen zum Besten, was Mitteleuropa zu bieten hat. Der Nachteil eines Fluges von der Schweiz nach Belgien ist, dass einige thermisch herausfordernde Gebiete durchquert werden müssen. Von Süden nach Norden müssen das Schweizer Mittelland, das Rheintal bei Basel, der Kraichgau, das Rheintal bei Karlsruhe und schließlich das Moseltal überwunden werden. Wenn man das auf einer Landkarte einzeichnet und rot einfärbt, sind das ziemlich große Gebiete, die einen so ambitionierten Flug scheinbar unmöglich machen, bevor man ihn überhaupt angetreten hat. Aber Langstreckenflüge werden viel einfacher, wenn man die Dinge andersherum betrachtet und aus einem halb leeren Glas ein halb volles macht. Das gilt auch in diesem Fall. Tatsächlich überwiegt die Zahl der thermisch guten Strecken bei weitem die der schlechten. Jura, Schwarzwald, Pfälzerwald, Saarland, Eiffel und Ardennen versprechen am richtigen Tag einen frühen Start und ein spätes Thermikende.
Wenn sich im Sommer 2023 eine mehr oder weniger homogene Wetterlage im Gebiet zwischen der Schweiz und Belgien ankündigt, ist es nicht schwer, die Fluganmeldung in den Logger zu laden und zu versuchen, einen meiner Bucketlist-Flüge Wirklichkeit werden zu lassen.
Die Wettervorhersage zeigte eine stationäre Front mit 8⁄8 mittleren und hohen Wolken direkt westlich von Hausen am Albis. Im Norden schien die Sonne und die Vorhersage versprach Warmluftadvektion im Gebiet südlich des Kraichgaus mit möglichen Ausbreitungen im Jura, dem Schwarzwald und dem östlichen Teil der Schwäbischen Alb. Die Region zwischen den Ardennen und dem Pfälzerwald sah dagegen mehr als vielversprechend aus. Also beschloss ich, einen 800 km langen Zielrückkehrflug mit zwei zusätzlichen Wendepunkten in der Nähe von Pforzheim am nördlichen Rand des Schwarzwalds anzumelden. Der gewählte Wendepunkt in Belgien war das malerische Städtchen Sankt Vith an der Grenze zu Deutschland, etwa eine Stunde südlich von dem Ort, an dem ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht habe.
Bei Langstreckenflügen sind die ersten und die letzten Stunden am entscheidendsten. Deshalb wurde bei der Vorbereitung ein besonderes Augenmerk auf die bereits erwähnten schwierigen Übergänge gelegt, die zu diesen Zeiten zu bewältigen sein würden. Leider hinkt die thermische Entwicklung im Schweizer Mittelland und Rheintal im Vergleich zum Schweizer Jura und Schwarzwald weit hinterher. Außerdem ist der »Sprung« vom Jura in den Schwarzwald am frühen Morgen meist gar nicht möglich, weil die Wolkenbasis im Jura noch nicht hoch genug ist. Um die schwache Thermik in den oben genannten Gebieten zu vermeiden, vereinbarten der Schlepppilot und ich, einen hohen Schlepp in Richtung des Startpunkts bei Bad Säckingen an der deutsch-schweizerischen Grenze zu nutzen. Aber selbst mit der maximal erlaubten Flughöhe ist der Einflug in den Schwarzwald oft eine Zitterpartie: Ein langsamer Gleitflug in schnell ansteigendes und schlecht landbares Gelände, oft gegen starken Gegenwind. Das Timing ist entscheidend. Eine verspätete Ankunft bedeutet, dass Zeit verloren geht und somit am Ende des Tages weniger Strecke zurückgelegt wird. Eine zu frühe Ankunft ist noch schlimmer und könnte ein zweites Frühstück auf dem Bauernhof deiner Wahl bedeuten. Zum Glück sind die Programme zur Wettervorhersage inzwischen erstaunlich genau. Mit ein bisschen Erfahrung, der Interpretation der Daten und der Einschätzung der jeweiligen Stärken und Schwächen der verschiedenen Modelle ist es sehr wahrscheinlich, dass es gelingt, abzuschätzen, wann und wo die erste Thermik und Wolken auftauchen werden. In Kombination mit der Beobachtung einiger hochauflösender Webcams und Satellitenbilder ist die Festlegung der optimalen Startzeit bemerkenswert präzise geworden, selbst wenn, wie in diesem Fall, der Abflugplatz und die erste Thermik mehr als 60 km voneinander entfernt sind. Am Tag des Fluges schien der Anschluss an die ersten fliegbaren Aufwinde in der Nähe des Flugplatzes Hütten Hotzenwald im Südschwarzwald um 10:00 Uhr problemlos möglich. Da die gemeldete Aufgabe einen gewissen Spielraum zuließ und wegen des zu erwartenden starken Windes und der geringen Basis entschied ich, eine Ankunft um 10:30 Uhr anzustreben. Der Hauptgrund dafür, dass ich an diesem Tag nicht früher im Schwarwald ankommen wollte, war das Timing in einer späteren Phase des Fluges. Genauer gesagt wollte ich vermeiden, bei dieser Warmluft zu früh in den Kraichgau einfliegen zu müssen.

Während des Schlepps tauchten die ersten Wolken am Horizont auf, und nachdem die Abfluglinie mit Maximalgeschwindigkeit überquert wurde, war es wohl einer der einfachsten Einstiege in das hohe Gelände des Schwarzwalds. Dreißig Minuten früher wäre es zwar möglich gewesen, aber definitiv weniger komfortabel. Nun bot der südliche Teil des Fluges einige schöne Energielinien, eine anständige Wolkenbasis, aber auch leicht zerrissene Aufwinde und natürlich das obligatorische große blaue Loch um Winzeln-Schramberg. Trotzdem kam der schwer beladene Ventus gegen den Wind gut voran. Als wir uns dem Nordrand des Schwarzwalds näherten, stand die zweite entscheidende Phase an. Der Einflug in den Kraichgau ist oft eine interessante Erfahrung, da die Wolkenbasis und die Steigwerte deutlich abnehmen. Obwohl der Ruf des Kraichgaus oft schlechter ist als die Realität, ist ein bisschen Vorsicht nie verkehrt, vor allem nicht am Anfang des Tages. Das geplante Timing war perfekt und sobald ich mich Pforzheim näherte, tauchten die ersten kleinen Wolken auf, nicht nur im Kraichgau, sondern sogar im Rheintal. Den Wäldern und den kleinsten Wolkenfetzen folgend, wurde dieses schwächere Gebiet in einem soliden Tempo durchquert und in der Ferne begannen die ersten »namibischen« Wolken aufzutauchen. Das führte fast zu einem großen Fehler, denn ich erhöhte mein Tempo, um so tief wie möglich am Rande der gut aussehenden Wolken anzukommen, ohne mehr mittelmäßige Bärte als nötig im Bereich des Rheintals zu nehmen. Ich hatte erwartet, dass die östlichen Hügel des Pfälzerwaldes den ersten starken Aufwind des Tages bringen würden. Das war eine schwere Fehleinschätzung. Die warme Luftmasse führte dazu, dass die ausgewählte Hügelkuppe nicht den erwarteten Hammerbart aus dieser Höhe auslöste. Im Gegenteil, ich musste mehrere Minuten lang oberhalb der Bergkuppen suchen, bevor ich den rettenden Aufwind fand. Dabei war es notwendig, den Gleitpfad zu möglichen Außenlandefeldern ständig zu überprüfen. Die Pfalz mit ihrer Übergangszone zwischen den Hügeln und dem westlichen Rand des Rheintals ist nämlich komplett mit Weinbergen übersät. Glücklicherweise wurde das Steigen mit zunehmender Höhe immer besser und es dauerte nicht lange, bis ich das vielleicht beste Wetter genoss, das ich je in diesem Teil Deutschlands erlebt hatte.


Tiefer Einstieg in den Pfälzer Wald | Grandioses Wetter Richtung Westen
Sobald der Ventus und ich unter den mächtigen Wolken des Pfälzerwaldes angekommen waren, verdreifachte sich die Steigrate und das Leben wurde leicht … um nicht zu sagen sehr leicht. Endlich kam ich in den Genuss des Rückenwindes, der die Wolken wunderbar aufreihte. Dementsprechend schnell ging es voran, und mit einer Wolkenbasis von 2.500 m ü. NN war das Überfliegen des Luftraums der Militärstützpunkte Rammstein und Spangdahlem kein Thema mehr. Den Tiefpunkt noch vor Augen, war ich beim Anflug auf das Moseltal besonders konzentriert, um nicht noch einmal den gleichen Fehler zu machen. An den entscheidenden Stellen gab es auf beiden Seiten des mäandernden Flusses einige sehr starke Aufwinde. Die wurden natürlich gerne in Kauf genommen. Es dauerte nicht lange, bis der ausgeschriebene Wendepunkt in Sicht kam, und da ich nun dem Zeitplan voraus war, fiel die Entscheidung, nach dem Wendepunkt in die Ardennen und so weit es der belgische Luftraum zuließ, weiterzufliegen, nicht allzu schwer. 15 km östlich von Lüttich, am Rande der TMA, musste ich dann schließlich umkehren, etwa 400 km von Hausen am Albis entfernt. Der Rückweg verlief ganz ähnlich: Selbst bei 30 km/h Gegenwind zogen die Ardennen, die Eiffel, das Saarland und der Pfälzerwald wegen der Wolkenstraßen und unglaublich starken Steigwerten mit Höchstgeschwindigkeit vorbei. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich den Integrator jemals so oft während eines einzigen Fluges in Deutschland über 5,0 m/s gesehen habe.


Die Mosel auf der Anreise in die Ardennen | Reihungen erleichtern den Heimweg gegen den Wind
Auch das Rheintal und der Kraichgau zeigten sich jetzt von ihrer besten Seite. Wegen des knochentrockenen Bodens waren überall schöne Cumulanten zu sehen und das Fliegen wurde wirklich zum Kinderspiel. So wie es am Morgen auf der Südseite leicht war, in den Schwarzwald zu kommen, war es am Nachmittag auf der Nordseite nicht anders. Tatsächlich war auf dem Weg zur Ziellinie so viel Zeit übrig, dass ein kleiner Umweg genügte, um eine freie Strecke von über 1.000 km zu erlangen. Ein langer Endanflug entlang eines einzelnen Regenschauers am südlichen Rand des Schwarzwalds gab mir schließlich etwas Zeit zum Entspannen.
Was für ein genialer Tag und was für ein denkwürdiger Flug!

Der Flug | Graphik aus dem Buch »Next Year of Gliding«
Ich muss zugeben, dass ich später am Abend noch ein Stück Schweizer Schokolade zusammen mit einem belgischen Bier genossen habe. Der perfekte Kompromiss.
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