1400km im thermischen Segelflug | Alexander Müller
Wir treffen Alexander einige Tage nach seinem historischen Flug. Während des Gesprächs vermittelt er die Gelassenheit eines Menschen, der so viel erlebt hat, dass ihn nicht mehr viel aus der Ruhe zu bringen vermag. Doch hört man genauer hin, merkt man ihm noch immer an, dass ihn die Ereignisse des 5. Juli und die folgende mediale Resonanz nicht ganz kalt lassen.
Alexander, zunächst einmal Gratulation vom gesamten WeGlide Team, eine Wahnsinns-Leistung!
Vielen Dank, es war wirklich ein toller, erlebnisreicher Flug. Am Abend zuvor habe ich zusammen mit dem Late Night Soaring Team die "Flug des Monats Juni"-Folge
aufgezeichnet, welche am 7. Juli, also erst nach den 1.400 km ausgestrahlt wurde. Dass sich derart schnell die Möglichkeit ergeben hat, meinen 1300 km Flug vom Juni zu toppen, habe ich definitiv nicht erwartet.
Mittlerweile stehen rund 13.000 Segelflugstunden in deinem Flugbuch. Viele davon hast du über Namibia verbracht. Wird dir, trotz deiner vielen Abenteuer, der 1.400 km Flug vom 5. Juli besonders in Erinnerung bleiben?
In Namibia und Südafrika? Vielleicht 2.000-3.000 Stunden? Ich hab sie nicht gezählt. Ich muss offen gestehen, dass auch viele große Flüge in ihrer Gesamtheit wieder in Vergessenheit geraten. Es gibt Piloten, welche ihre Flüge noch Jahre später detailgetreu wiedergeben können. Dazu zähle ich leider nicht, jedoch bleiben mir viele einzelne Highlights im Gedächtnis, bei denen ich während des Fluges schon merke: "Das wirst du wohl so schnell nicht wieder vergessen".
Zum Beispiel?
Besonders natürlich die Glücksfälle, durch die ein großer Flug oder ein Rekord letztendlich zustande kam. Aber natürlich auch die tragischen Momente, wo ganz große Flüge an irgendeinem Zufall scheitern. Der Endanflugbart, den man gerade noch gekriegt hat, genauso wie der Absaufer kurz vor dem Ziel. Oder Situationen, die mich extrem gefordert haben, die bleiben im Gedächtnis!
Und bei deinem nun größten Flug in Deutschland?
Beim 1400er war es wohl die gesamte letzte Stunde. Die werde ich wahrscheinlich nie vergessen. Zu dieser Zeit habe ich sogar zwei Fotos geschossen, die ich letztendlich auch in die Flightstory hochgeladen habe. Normalerweise schieße ich während meiner Flüge nie Fotos, da ich hierfür einfach keine Kapazitäten frei habe. Doch diesen Moment musste ich unbedingt festhalten!
Das glauben wir dir aufs Wort. Viele Leute haben im Live-Tracking mitgefiebert!
Nun ja, Ruhm ist vergänglich und das schmerzt mich auch nicht. Für mich war es einfach faszinierend, erneut die Grenzen hinausgeschoben zu haben. Dass sich jedoch so viele Fliegerkameraden mit mir freuen und die Resonanz derart hoch war, hat mich wirklich überwältigt!
Die Live-Funktion habe ich erst zwei Wochen vor diesen Flug durch meinen Sohn kennen gelernt. Besonders fasziniert mich das Live-Scoring. Am 5. Juli habe ich es zum ersten Mal während des Fluges genutzt, um zu sehen was die anderen Kameraden so treiben, wo sie wie schnell unterwegs sind und wie viele Kilometer sie schon auf der Uhr haben. In der Tat ein sehr motivierendes Tool während des Fluges. Meiner Meinung nach ein echter Meilenstein!
In der Kommentarspalte hast du unter anderem geschrieben: "Jetzt kann ich mich endlich zur Ruhe setzen". Was treibt dich künftig noch an? Sind es diese Tage mit extremen Ergebnissen, oder hast du nach wie vor die pure Freude am Segelflug?
Das war nur Spaß! Was mich wirklich antreibt, ist während meiner zahlreichen Stunden im Cockpit immer gleichgeblieben: Das ständige Ausloten neuer Möglichkeiten, die Faszination die Grenzen des Segelflugs stetig etwas weiter hinaus zu schieben und mir dabei gewonnene Erfahrungen zu Nutzen zu machen. So bin ich, war ich schon immer und das treibt mich nach wie vor an. Das dabei große Strecken rauskommen, liegt eigentlich in der Natur der Sache.
Dann lass uns mal über den Tag sprechen. Wie du deine Flüge meteorologisch vorbereitest, hast du ja schon im Late Night Soaring thematisiert. Doch hast du an der Prognose für den 5. Juli Faktoren das Potenzial des Wetters erkannt?
Ganz ehrlich, ich habe den Tag als eher durchschnittlich gesehen. Am Vorabend kam die obligatorische Frage meiner Frau: "Na, gehst du morgen fliegen?", worauf ich: "Nun, ich würde das Wetter schon einmal "antesten" entgegnete.
Die Wetterprognosen sind mittlerweile unglaublich gut geworden und haben das
Leistungsniveau im Segelflug um ein Vielfaches gesteigert. Trotzdem handelt es sich nach wie vor um Vorhersagen und Modelle. Die tatsächliche Qualität des Wetters kann man erst realistisch beurteilen, während man im Cockpit sitzt. Wenn man also die Zeit hat den Flugtag zu nutzen, sollte man dies stets tun. An manchen Tagen wird man enttäuscht, an anderen dafür positiv überrascht!
Ab wann konntest du abschätzen, ob aus dem Tag etwas werden könnte?
Nun, mein Ablauf vor dem Flug ist immer der gleich. Ab acht Uhr habe ich den Flieger fertig und bin ich startbereit. Meine Aufmerksamkeit widme ich dann ausschließlich dem nahegelegenen Fichtelgebirge. Dieses entwickelt immer, damit meine ich wirklich immer, als Erstes. Sobald sich dort die kleinste Fluse bildet, starte ich. Bis ich dann tatsächlich am Ochsenkopf, dem zweithöchsten Berg des Fichtelgebirges den Motor einfahre, sind nochmals ~15 Minuten vergangen. Dort beginnt dann für mich ein morgentliches Ritual.
Moment, wir rudern nochmal etwas zurück. Warum geht der Ochsenkopf früher los als alles andere?
Das ist physikalisch plausibel. Früher habe ich mich natürlich auch gefragt, warum das Fichtelgebirge derart früh entwickelt.
Auf dem Satellitenbild sieht man den Ochsenkopf samt dem dahinter liegenden
Schneeberg. Beide sind knapp über 1000m hoch. Gut zu erkennen sind die drei Plateaus, welche nicht bewaldet sind. Auch sie liegen mit rund 800 m ziemlich hoch und sind zum Tal hin relativ offen. Das hat den großen Vorteil, dass diese drei Flächen nachts beim Abkühlen keinen Kaltluftsee bilden, da die kalte Luftmasse durch die Schneisen einfach nach unten rausfließen kann. Wenn also morgens die Sonne ins Fichtelgebirge scheint, braucht es kaum Energie, um erste thermische Entwicklungen von diesen Plateaus abzulösen. Je nach Windrichtung funktioniert mindestens eine dieser drei Hochflächen.
In der Tat, du bist ja um 07:10 UTC mit 2,5 m/s über 1000 Höhenmeter gestiegen und in 2300 m abgeflogen.
Ja, das war eigentlich schon relativ spät und gab noch keinen Anhaltspunkt, wie gut der Tag tatsächlich werden sollte. Es bringt ja leider nichts, wenn das Fichtelgebirge morgens gut geht, der Rest aber nicht zeitig nachkommt.
Die ersten Flusen stehen immer über dieser ringförmigen Struktur. Natürlich haben die Schneisen nach unten ins Flachland auch für die Thermik den Vorteil, dass genügend Luft zu den Plateaus "nachgeschaufelt" werden kann.
Nun weiter mit dem "Ochsenkopf-Ritual"...
Das Ganze spielt sich an den guten Segelflugtagen immer zwischen acht Uhr und neun Uhr 30 Ortszeit ab. Der entscheidende Punkt kommt aber in der darauffolgenden Stunde. Dann erst ist es möglich, die Qualität des Tages besser einschätzen zu können. Wenn die erste Stunde schon problemlos läuft, wird es meistens ein guter Tag, wenn es nicht am Nachmittag überentwickelt.
Auch am 5. Juli „sitze“ ich also auf dem Ochsenkopf und außen herum ist alles noch im Tiefschlaf. Man sieht von oben auf die Inversion und die erste knifflige Entscheidung des Flugtages stehen an. Welche Abflugrichtung? Normalerweise entscheide ich nach der Windrichtung und warte zudem die ersten Wolkenentwicklungen in der näheren Umgebung ab. Jedoch muss ich da enorm aufpassen. Tückisch ist beispielsweise der Süd- Ost Abflug in Richtung Steinwald. Auch dieser hat einen Höhenzug, ist jedoch ein Stück niedriger. Schon oft bin ich dorthin zu früh losgeflogen und wurde irgendwo bei Erbendorf direkt zur ersten Bastelstunde eingeladen. Tiefes Arbeiten im Keller am Morgen kostet aber Kraft, weil der Flieger noch schwer ist und wertvolle Kapazität an solch einem langen
Flugtag.
An diesem Tag bin ich aber nach Nord-Westen in Richtung Thüringer Wald abgeflogen. Doch auch diese Entscheidung hatte ihre Tücken! In der Entfernung konnte ich schon nach kurzer Zeit erste, richtig schöne Entwicklungen beobachten. Aber viele kenn dieses Phänomen: Man sieht in der weiter Entfernung Wolken über die Inversion rausschiessen und schätz die Entfernung total falsch ein.
In diesem Moment war ich so naiv zu denken, dort auch problemlos hinzukommen. Genügend Höhe hatte ich ja! Also habe ich mich um 9.30 Uhr ganz langsam auf den Weg gemacht. Doch schon nach wenigen Kilometern wurde mir klar, dass ich nie bis zu den schönen Wolken kommen würde.
Doch ich hatte Glück! Denn in diesem Moment haben sich vor mir, also in Reichweite, die ersten Wolken gebildet, welche dann zügig größer wurden. Meinen ersten "richtigen" Bart hatte ich um viertel vor 10 mit 1,4m/s. So ein Steigen nehme ich um diese Uhrzeit natürlich mit und kurble es bis ganz oben hin aus. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich: "Jetzt geht es los!"
Das sieht ganz danach aus, es ging ja direkt gut weiter.
Stimmt, die Entwicklung ist von da an zügig vorangeschritten. Nächster Knackpunkt ist, in das System des Thüringer Waldes einzusteigen. Hier peile ich meistens auf die Kante von Sonneberg. Wenn man hier 1500m-2000m MSL hat, ist man schon gut dabei und kann sich auf dem Weg zum Hauptkamm des Thüringer Waldes machen.
Es scheint so, als profitierst du hier direkt von deinem enormen
Erfahrungsschatz.
Ich denke schon. Beispielsweise umfliege ich Suhl mittlerweile immer nördlich, dort geht es meiner Erfahrung nach einfach deutlich besser. Man sieht es ja auch hier, an diesem Tag bin ich dort dreimal entlang geflogen, den bei Suhl habe ich mich schon gefühlte hundert Mal eingegraben. Irgendwann braucht man das einfach nicht mehr!
Als nächste spannende Schlüsselstelle erscheint mir deine erste Wende. Im Late Night Soaring hast du angemerkt: "Das Problem in der Offenen Klassen sind die Wettergrenzen". Hier sieht es allerdings so aus, als ob es noch ganz gut weiter gegangen wäre. Das Satellitenbild schaut nicht schlecht aus, die Bärte wurden stärker und deine Stundenspeed ging hoch.
Zunächst einmal, was ich schon seit längerer Zeit ganz intensiv mache: Ich schaue mir auch während des Fluges jedes neue Satellitenbild ganz genau an und vergleiche es mit der Optik meiner Umgebung. Zudem lasse ich die Animation laufen, um die Entwicklung einschätzen zu können.
Die Gegend um Kassel ist mir aus der Erfahrung als Wettergrenze bekannt. Im
Satellitenfilm kann man das auch ganz gut erkennen: Mit etwas Übung sieht man dort einige flächige Strukturen, welche im Vergleich zu den Entwicklungen im Süden eine Tendenz haben, sich nach Nordenosten zu bewegen. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass dort irgendetwas anders, etwas in Bewegung ist.
Für ein Dreieck gab es hier für mich deshalb nur zwei mögliche Entscheidungen: Weiter nach Nord-Osten oder nach Süden. Nach Nord-West, direkt in die Westhessische Senke, fliege ich normalerweise nicht.
Nach Norden und Nordenosten konnte ich ganz gut sehen. Jedoch sank dort die Basis ab und die Wolken waren nicht so klar definiert wie in meiner direkten Umgebung.
Auch aus den Vorhersagen konnte man entnehmen, dass dort irgendwo eine
Wettergrenze verlaufen würde. Das sind dann diese extrem wichtigen
Sekundenentscheidungen, die man trifft. Sicherlich hätte man nach Norden abbiegen können, das war aber eigentlich auch nicht mein Plan. Ich habe mit der Wetterprognose des Vortags und dem aktuellen Satellitenfilm daraufgesetzt, dass die Bedingungen im Süden stärker sein werden. So habe ich dort gewendet und bin nach Süden.
Den Kontinentalrekord aus 1997 von über 1122 km FAI von Klaus Wedekind hattest du bei dieser Entscheidung nicht im Hinterkopf?
Im Kopf habe ich das immer, denn diese Strecke würde ich gerne noch überbieten.
Ich habe das Dreieck auch schon einmal knapp geflogen, obwohl ich damals eigentlich „nur“ ein großes DMST-Dreieck fliegen wollte und den Rekord überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Dummerweise ist die Startlinie in der DMST 2.000m breit, für einen Rekord aber nur 1.000m. Also bin ich an diesem Tag, für einen angemeldeten Rekord, um 200 Meter an der Abfluglinie vorbeigeflogen.
Übrigens genau einer der Momente, die ich wohl nie mehr vergessen werde. Es wurde dann, mit 1.121,8km, wenigstens ein Kontinentalrekord über die freie Dreieckstrecke. Aber peinlich war`s mir schon!
Kommen wir mal zu der Gegend um Würzburg. Wie kam es zu der Entscheidung östlich von Stuttgart zu fliegen?
Schon in der Vorplanung war für mich klar, dass ich nicht zu weit westlich fliegen wollte. Die Entscheidung war anhand der Top-Meteo Prognosekarten relativ leicht zu treffen, da es dort blau werden sollte. Auch im Satellitenfilm ist zu erkennen, dass der Kraichgau, insbesondere die Gegend um Pforzheim, zu dem Zeitpunkt noch nicht bemerkenswert entwickelt war. Ich wollte es nicht riskieren am Schwarzwaldeinstieg zu basteln und wertvolle Zeit zu verlieren. Dafür hatte ich dann prompt eine Bastelstunde nach dem Aufstieg auf die Alb.
Lass uns nochmal auf Würzburg zurückkommen. Als Flugschüler wurde mir immer gepredigt, die Gegend um Würzburg und Giebelstadt mit Vorsicht zu genießen. Laut Phasenanalyse hattest du dort allerdings einen richtigen Lauf.
Normalerweise ist das tatsächlich eine Gegend, die ich, zumindest bis in den Nachmittag hinein, nicht befliege. Üblicherweise bewege ich mich hier weiter westlich im Spessart und im Odenwald. Doch am 5. Juli hat es westlich an Würzburg vorbei einfach unglaublich gebrummt. Die Bärte standen kräftig und rund, zuverlässig wie ein Uhrwerk. Es war so verblüffend für diese Gegend und ich kann es kaum beschreiben. Ich hatte dort definitiv einen guten Lauf und der Stundenschnitt ging in die Höhe.
Du warst zudem nicht langsamer als die Flieger im Steigerwald.
Es sah überall gleich hervorragend aus. Hier habe ich zum ersten Mal das Potenzial des Tages verspürt. Das wurde mir später fast zum Verhängnis, wie ich vorhin schon mal kurz angeschnitten habe. Zusammengefasst: Der Flugabschnitt war der Hammer, in einer Gegend, wo ich das so nicht erwartet hätte. Neben Würzburg und Giebelstadt ist auch Schwäbisch Hall oftmals nicht besonders prickelnd. Normalerweise fliegen wir dort auch eher am Nachmittag hoch, zur Steigerwaldkante in Richtung Norden. Steigerwald hin oder her, das hat zu diesem Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Die Cumulanten standen genau da, wo ich sie gebraucht habe. Ein wahrer Glücksfall.
Im Anschluss ging es voller Euphorie auf die Alb. Im Thermal Replay kann man gut erkennen, dass dort im Vergleich schwächer gekurbelt wurde.
Ja und dort hat es mich dann fast erwischt. In der Gegend um Oppingen hatten sich offensichtlich vorher Schauer gebildet, wobei ich zum Zeitpunkt meiner Ankunft gar keine Schauerwolken mehr sehen konnte. Diese hatten sich schon aufgelöst und sind als Regen zu Boden gefallen. Das Tückische war, nur bei sehr genauem Hinsehen und erst ab einer gewissen Entfernung konnte man dies gegen die Sonne erkennen. Bis ich begriffen hatte, dass es sich bei den leichten Schleiern am Himmel um (noch) fallenden Regen handelt, war es schon fast zu spät. Hinzu kam die Euphorie, die sich auf meinem zweiten Schenkel entwickelt hat. Dementsprechend spät habe ich an dieser Stelle geistig umgeschaltet.
Wie bist du mit der Situation umgegangen?
Der Regen war auf die Albkante gefallen und die Luft zeigte sich thermisch nicht mehr aktiv. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Also erst Mal das Gas raus und vorsichtig weiterfliegen. Erst an der A8, südlich Oppingen, wurde ich wieder fündig. Dort musste ich dann ganz vorsichtig und tief mit 0,3 m/s anfangen, um wieder mehr Aktionsraum zu bekommen.
Es ist ja bekannt, dass du bezüglich geländenahem Fliegen ein gutes
Nervenkostüm besitzt. Glaubst du der Absitzer hat dich mental beeinflusst, oder steckst du derartiges mittlerweile locker weg?
Das werde ich häufig gefragt. Meiner Meinung nach ist es einfach ein Teil des Spiels. Über die Jahre habe ich gelernt, mit diesen Situationen konzentriert und selbstbewusst umzugehen. Wichtig ist dabei natürlich, dass man sowohl sich, als auch das Flugzeug gut kennt. Ich werde in so einem Moment wirklich eins mit der EB 29 und entwickle ein extrem sensitives Gefühl für Thermik, die gerade bodennah entsteht. Damit meine ich, selbst wenn es zunächst nur ein wenig „blubbert“ und die Thermik noch gar nicht richtig entwickelt ist, kann ich mich mit der großen Spannweite gerade so darin halten und mir zumindest wieder Optionen schaffen.
Und das kostet dich keine Kraft?
Naja, wenn ich das mal eine Stunde gemacht habe, Sprichwort Steinwald am Morgen, kostet das schon Kraft. Ich merke das meistens erst hinterher, wenn wieder eine entspannte Phase kommt, dass die starke Konzentration ihren Tribut fordert. Jedoch schmeiße ich deshalb nicht den Tag oder fliege danach besonders passiv weiter.
Das glaube ich dir aufs Wort. Wie ging es anschließend weiter?
Ungefähr zwei Kilometer südlich von mir haben ebenfalls zwei Segelflugzeuge das Kreisen angefangen. Nach meinem Flarm-Display bin ich zunächst noch etwas besser gestiegen, doch dann wurde deren Steigen schnell besser und ich wechselte natürlich zügig rüber in den anderen Bart.
In so einem Moment ist man den Kollegen wirklich dankbar! In gut 1000m über Grund ging es dann aber weiter.
Du hast wohl eine bessere Option gesehen?
Ich peilte schon vorher eine Wolke im Süden an, die hochinteressant war. Die Basis war dort schon wieder deutlich angestiegen, aber etwa 300m darunter begann es noch zusätzlich zu kondensieren. Immer ein Indiz, dass dort was geht. Wenn ich so etwas sehe und meine Höhe erlaubt es, fliege ich direkt dort hin. Und es ging tatsächlich ordentlich zur Sache und ich konnte wieder auf 2.400m steigen!
Wieder an der Basis stand die Entscheidung an, wohin nun weiter? Prinzipiell sahen die Wolken südlich der Albkante, Richtung Donautal, sehr verlockend aus. Die Cumulanten war groß und definiert. Also bin ich erst Mal zur südlichen Albkante und dann weiter nach Südwesten. Als ich über Mengen war, hatte ich aber das Gefühl, dass jetzt ein guter Zeitpunkt zum Wenden wäre.
Laut Satellitenbild wäre es allerdings noch weiter gegangen. Hast du aufgrund des Absitzers die Wende zu früh gesetzt?
Da ist vielleicht etwas dran. Wenn ich mal sehr tief komme, bin ich danach zumindest etwas vorsichtiger. Vom guten Streckenabschnitt ab Würzburg war ich verwöhnt. Der Absitzer bei Oppingen hat mich dann, im wahrsten Sinne des Wortes, wieder auf den Boden gebracht. Ich würde nicht behaupten, nach dem Absitzen passiver zu fliegen, aber einfach wieder überlegter und aufmerksamer. Es war allerdings definitiv so, dass hier die Luftmasse eine andere war als die, aus der ich gekommen bin.
Die Bedingungen wurden schlechter?
Das würde ich nicht behaupten. Die Wolken waren wieder teilweise ausgefranst und nicht mehr so klar strukturiert. Ich konnte mir ja weiter im Norden ein Bild machen, welches Potenzial an diesem Tag in der Thermik steckt. Diese Qualität hatte sie im Bereich Mengen nicht mehr und das Gefühl ging schon beim Sprung auf die Alb los. Ich hatte, wie schon erwähnt, einen Dämpfer bekommen und musste meinen Flugstil an die neuen Bedingungen anpassen. Mir geht es damit nicht anders als allen anderen: Man fliegt, ist im Flow und plötzlich wacht man auf!
Bei Mengen war es nun noch nicht so, dass nichts mehr ging, aber im Satellitenbild
wurden die Wolken schon ziemlich mächtig und mich hat es einfach zurück ins bessere Wetter gezogen.
War das im Nachhinein eine gute Entscheidung?
Schwierig zu sagen. Ich habe im Funk Piloten vom Feuerstein gehört, die auf der Alb weiter nach Westen unterwegs waren und die waren nicht sehr begeistert. Aber es wäre definitiv noch gut fliegbar gewesen. Zum Zeitpunkt der zweiten Wende wusste ich natürlich noch nicht, dass es am Abend im Bayrischen Wald dicht macht, beziehungsweise bleibt. Im Nachhinein wäre es wahrscheinlich besser gewesen zumindest bis auf Höhe Klippeneck zu verlängern, um den FAI-Anteil noch weiter zu strecken.
Du meintest ja den Satellitenfilm immer mitlaufen zu lassen. Hast du die Probleme im Bayerwald zum Zeitpunkt der zweiten Wende noch nicht erkennen können?
Doch, das konnte man schon sehen. Man erkennt dort ja schon die flächigen Strukturen der Überentwicklungen. Laut Prognose war das auch zu dieser Uhrzeit so angekündigt. Die Tendenzen zum Breitlaufen und zum Überentwickeln sollten allerdings zum Nachmittag nachlassen. Nun, das ist auch wieder Teil des Spiels. Also galt auf dem dritten Schenkel das Prinzip Hoffnung. Im Satellitenfilm konnte man zwar erkennen, dass die Ausbreitungen langsam weniger wurden, jedoch ahnte ich schon, dass der Bayerwald wohl nicht mehr sinnvoll fliegbar sein würde.
Nun gut, wie lief denn der Schenkel und die anschließende Wende im Osten?
Zunächst lief es erst mal wieder viel besser, ähnlich wie in der Region um Würzburg. Wobei das auf diesem Teil der Strecke häufig der Fall ist. Der Plan war dann hinter Regensburg an die Donaukante zu gehen, welche meistens frei von Überentwicklungen bleibt. Nördlich von meiner Route war es zu diesem Zeitpunkt nach wie vor relativ dicht.
Die Kante bin ich dann auch entlang geflogen, konnte jedoch schnell sehen, dass die Basis weiter nach Osten absinkt. Auch das Satbild war nicht mehr besonders vielversprechend und die Entscheidung zur Wende wieder geprägt vom Abwägen zwischen Chance und Risiko. An dieser Position hatte ich schon einen FAI-Anteil von 980km. Meiner Meinung nach waren das genügend Punkte für die Dreieckstrecke. Es schien deshalb nicht lohnenswert noch weiter in den Südosten zu verlängern, um vielleicht 100km mehr FAI- Strecke gewertet zu bekommen, aber dabei einen Absitzer zu riskieren, der vielleicht den ganzen Flug gekostet hätte. Also auf in Richtung Oberpfalz!
Kurzer Exkurs zur Oberpfalz: Bei einem großen Flug in 2020 hast du
kommentiert: "Wenn die Oberpfalz nicht mal wieder breit gelaufen wäre, hätte es ein wirklich großer Flug werden können. Kommt das dort also öfters vor?
Nein, die Oberpfalz ist zu später Stunde eigentlich selten kritisch. Im Gegenteil, sie geht normalerweise sehr gut. Bei dem Flug in 2020 war das Problem, dass sie schon wieder zu gut ging, überentwickelt hat und breit gelaufen ist. Damals wurde es zunehmend schwieriger die Bärte zu finden, die Wolken waren riesig breit, die Abstände zwischen den Bärten groß und man kam im nächsten Bart für diese Uhrzeit eigentlich immer zu tief an. Es gilt ja die alte Weisheit: Ab 17 Uhr sollte man oben bleiben!
Auch wenn ich tagsüber nicht davor scheue auch mal tief runter zu fliegen, versuche ich diese 17-Uhr-Regel konsequent einzuhalten, sonst riskiert man einfach schnell den ganzen Flug. Der Tag damals lief sogar etwas besser als an diesem 5. Juli, leider hat mir abends die Oberpfalz einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es wäre sonst wohl auch ein Tag für mehr als 1400km gewesen, daher mein Kommentar.
Dieses Mal lief es ja ganz gut dort, allerdings hattest du kurz nach Bayreuth den zweiten Tiefpunkt des Tages.
Ja, das war sehr interessant. Da wir es gerade von der breit gelaufen Oberpfalz hatten. In dieser Situation versuche ich mich immer Richtung Bayreuth zu retten. Dort, bzw. am Fichtelgebirge, steht dann meistens der rettende Bart. Dieses Mal war es anders. Die Oberpfalz lief gut, aber kurz vor Bayreuth liefs irgendwie überhaupt nicht mehr. Man sieht ja wie ich zwischen Grafenwöhr und Bayreuth förmlich abgestürzt bin.
Ich bin, wie gewohnt, die klassische Route nach Bayreuth geflogen. Vor mir standen noch die schönsten Wolken, jedoch haben sie mir kein Steigen gebracht. In diesem Moment bekam ich von einem Vereinskollegen den rettenden Tipp, dass nördlich von Hof eine Konvergenz stehe. Daher auch der Zacken im Flugweg.
Die ist ja auch im Satbild ganz gut zu erkennen, eventuell hat sie deine
Umgebung abgesaugt?
Möglich. Zumindest aber hat sie die Thermikgüte an dieser Stelle geschwächt. Jedenfalls dachte ich mir: "Das ist der Schlüssel, wie es weiter geht. Noch hast du genug Höhe". Also bin ich scharf nach Norden abgebogen und habe diese Konvergenz auch mit einem kurzen Zwischenbart problemlos erreicht.
Dann kam der Hammer des Tages, definitiv eine gute Entscheidung!
Genau, das war wie ein Ritt auf einer Rakete. Auf den Uhren teils mit über 6 m/s. Das um halb sechs lokal. Es hat den Umweg definitiv gerechtfertigt!
Im Anschluss bist du auch richtig gut ins Gleiten gekommen, oder? Da ging es laut Phasenanalyse erstmal über 140km geradeaus.
Im Prinzip war das unsere berühmte "Thüringer Bratwurst", welche dieses Mal aber nach Norden versetzt war. Mir war klar, dass ich sie konsequent ausfliegen musste, solange es geht. Meistens ist ja dann am Gr. Inselsberg Schluss. Kurz vor Ruhla wendete ich und nahm erneut mit, was kam. Glücklicherweise hatte ich an diesem Tag noch zwei Schenkel übrig, das war bei meinem Flug in 2020 leider nicht der Fall.
Spätestens da ging die Rechnerei los?
Na ja, eigentlich läuft das parallel den ganzen Tag! Mir war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon klar, dass ich noch weit nach Osten verlängern müsste, um die 1400km vollzumachen. Zunächst habe ich mich einfach nur bemüht, der Konvergenz möglichst gut zu folgen. Dann folgte der zweite große Glücksfall des Tages. In Tschechien gibt es eine neue TRA ab FL75, für die man als Segelflieger üblicherweise keine Freigabe bekommt. Schon auf dem Weg zurück in den Südosten hoffte ich, dass die Konvergenz nicht genau dort hineinführt. Das hätte die 1.400km unmöglich gemacht.
Wie man im Satbild erkennen kann, ist die Wolkenstruktur aber nach Süden abgebogen, und zwar genau an der Grenze zu diesem Luftraum. Das war die Rettung. Ich flog an Cheb vorbei und konnte dann den Wolken noch ein Stück nach Süden folgen. Dabei habe ich natürlich schon überlegt, wie es jetzt weiter gehen soll. Der ursprüngliche Gedanke war, der Wolkenstraße immer weiter zu folgen, aber nach 11 Stunden Flugzeit trifft man bekanntlich keine besonders klugen Entscheidungen mehr. Es war also wirklich höchste Zeit abzudrehen, um nicht noch mit der Tageslänge in den Konflikt zu kommen. Auf Bayreuth hatte ich zu diesem Zeitpunkt 1.420 km gerechnet, war aber noch nicht auf dem Gleitpfad.
Zu allem Überfluss hatte der Wind dann abends auch noch zugelegt wie man in der Phasenanalyse erkennen kann.
Ja, der hatte kräftig zugenommen. Zunächst musste ich schwaches Steigen annehmen. Jedoch wurde aufgrund des Windversatzes der Gleitpfad einfach nicht besser.
Ich musste ich mich also noch ein letztes Mal konzentrieren und habe es nach einigem Verlagern letztendlich doch noch geschafft, besser zu steigen. Mit +600 bin ich nach Bayreuth abgeflogen.
Im Anschluss der wohlverdiente Endanflug auf die 1.400km?
Das bin ich ja aus Namibia gewohnt. Schöne lange Endanflüge. Da lehnt man sich dann zurück und genießt einfach nochmal den Tag!
Wir würden sagen: Ein Stück Segelfluggeschichte, die du da geschrieben hast.
Das wird sich zeigen. Man bekommt ja mit den Jahren ein Gefühl dafür, wo die Grenzen liegen. Ich habe mal mit Michael Sommer diskutiert, was in Deutschland im Segelflug wohl zu schaffen sei. Ich dachte damals, 1.500km freie Strecke sind in Namibia schon heftig. Inzwischen bin ich so weit zu sagen, dass 1.500km auch in Deutschland machbar sind, wenn alles zusammenpasst.
Was muss denn alles passen?
Erfahrung und Glück, so wie ich es am 5. Juli hatte. In unserem Sport gibt es sehr viele Unbekannte, allem voran das Wetter. Das macht es zum einen natürlich extrem spannend, aber auch immer schwierig. Man kann einfach nicht zuverlässig planen, wo das Wetter in Deutschland, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmen Zeit perfekt sein wird. Das wäre aber die Voraussetzung für eine solche Strecke oder man hat einfach eine ordentliche Portion Glück. In Deutschland kenne ich einige Piloten, die die 1.500km fliegen können. Aber für so einen Flug muss wirklich alles passen!
Nochmal: Wenn ein guter Pilot, vom richtigen Startplatz aus, in bestem Wetter, mit einem Top-Flugzeug, der während des Fluges viele richtige Entscheidungen trifft, dabei auch noch etwas Glück hat, ist es zu schaffen.
Die Betonung liegt aber auf den richtigen Entscheidungen. Es bringt beispielsweise nichts, wenn man vom richtigen Startpunkt aus morgens in die falsche Richtung abfliegt. Ich bin morgens schon oft mit dem Wind abgeflogen, da es prinzipiell einfach klüger ist. Ich kam dann aber schnell in Konflikt mit der Feuchte einer abziehenden Front und der Tag war futsch. Zurück zum Thema: Ich denke der Tag, an dem die 1500km geknackt werden wird kommen, aber es kann dauern.
Wenn wir schon mal bei der Optimierung sind. Gab es die Überlegung den Steigerwald wieder hochzufliegen?
Nein das war an diesem Tag nicht der Plan. Ich hatte mir ein großes Dreieck
vorgenommen und das Vorhaben während des Fluges auch konsequent verfolgt.
Nun Hand aufs Herz: Glaubst du bei einem Jojo zwischen Thüringer und Bayerwald wären 1.500km möglich gewesen? Laut dem Feature Day Replay waren da alle super schnell unterwegs.
Das habe ich mir so noch nicht angesehen, ich denke aber schon. Die spannende Frage ist hier doch: wäre es mir persönlich an diesem Tag so viel Wert gewesen? Das geht genau in die Richtung, die ich beim Thema DMSt geschildert habe. Man muss nach wie vor große Dreiecke fliegen, um sich bei den Punkten eine solide Basis zu schaffen. Das habe ich auch am 5. Juli getan.
Meiner Meinung nach sind auch groß angesetzte Jojo's eine super Leistung, denn bei einem 1.500 km Thermikflug im Flachland, ohne Hangwind und Welle, darf ebenso wenig schief gehen, wie bei einem großen DMSt Dreieck. Es ist halt ein generelles Mindset- Problem.
Würdest du dich mehr über 1.500 km in Namibia freuen oder sind die aktuellen 1.400 km in Deutschland die Höhe der Gefühle?
Auf jeden Fall in Deutschland, ganz klar! Man neigt auf den Segelflug-Plattformen dazu, alles miteinander zu vergleichen. Es ist klar, dass die Flüge in der argentinischen Welle, oder im thermischen Namibia zahlenmäßig immer spektakulärer aussehen werden, jedoch handelt es sich um eine komplett andere Situation. Die Wertung ist mir da im Endeffekt nicht so wichtig. Viel wichtiger ist mir, wie ich das persönlich empfunden habe und ob dabei das Gefühl hatte, meine bisherigen Leistungen übertroffen zu haben. Da übertreffen die 1.400 km in Deutschland die 1.500 km in Namibia definitiv. Aber 1.500km würde ich
natürlich noch in beiden Ländern gerne fliegen!
Wie steigst du nach solch langen Flügen aus dem Flieger aus?
Früher, vor etwa 10-15 Jahren konnte ich solch eine Nummer drei Tage hintereinander durchziehen. Es gab Zeiten, an denen ich mal an einem verlängerten Wochenende 36 Stunden im Flieger gesessen habe. Nun bin ich 66 Jahre alt und muss zugeben, dass ich das Alter merke. Am 5. Juli. hätte ich zwar nach den elf Stunden noch drei weitere dranhängen können und auch nach dem Aussteigen bin ich noch einigermaßen fit. Aber schon auf der Heimfahrt kommt erste Müdigkeit auf und nach dem Abendessen falle ich einfach tot ins Bett. Am Folgetag müsste ich mich dann schon sehr überwinden wieder in den Flieger zu steigen.
Wie ist das in Namibia, dort fliegst du ja häufig an mehreren Tagen in Folge?
Eine interessante Frage! Meine Kondition ist natürlich davon abhängig, wie die Qualität des Fluges ist. In Namibia sind oftmals nur ersten zwei Stunden etwas stressig, da man im Blauen, bei noch niedriger Basis unterwegs ist. Sobald aber die ersten Wolken kommen, beginnt das eigentliche Spiel und dann macht es einfach nur noch Spaß. Klar muss man auch in Namibia wichtige taktische Entscheidungen treffen, doch wenn man bei den dortigen Bedingungen mit hohen Schnitten unter hoher Basis fliegt, ist die Euphorie unglaublich.
Man ist dort oben einfach glücklich, genießt die Landschaft und erfreut sich an den
Bedingungen, die man von der Natur geschenkt bekommt. Mir persönlich hilft diese Euphorie fit zu bleiben und auch nicht müde zu werden. In Deutschland ist bei unserem Wetter der mentale Akku deutlich schneller leer.
Langstreckenflug ist bekanntlich dein Steckenpferd. Gab es hier einen
Zeitpunkt, an dem du einen signifikanten Leistungssprung gemerkt hast?
Nicht direkt. Ich würde meine Entwicklung im Streckensegelflug als asymptotische
Lernkurve beschreiben. Wissen und Erfahrung akkumulieren sich zwar ständig, aber irgendwann nähert man sich, auch altersgemäß seinem Maximum. Im Prinzip habe ich ohne einen besonderen, ausschlaggebenden Moment immer dazu gelernt.
Leistungssprünge gab es lediglich durch bessere Technik, wie das neue Flugzeug oder die Live-Satellitenbilder. Ich bin sogar sicher, dass es Jahre gab, in denen ich Rückschritte gemacht habe, weil ich beruflich zu gestresst war oder einfach nicht genug zum Fliegen gekommen bin.
Ich mache mir viele Gedanken über die Entwicklungen im Segelflug, speziell in den letzten 30 Jahren. An oberster Stelle steht für mich da ganz klar die Technik. Zum einen natürlich die tollen Flugzeuge, die wir heute haben, aber eben auch Innovationen wie GPS und die darauf basierenden Entwicklungen. Besonders hervorzuheben sind hier auch die Onlineplattformen, die durch ihre Transparenz zu einem unglaublichen Leistungssprung geführt haben. Plötzlich konnte jeder nachvollziehen, wo andere Leute fliegen, wie sie dort fliegen und vielleicht auch, warum sie bestimmte Entscheidungen treffen. Diese Transparenz und den Austausch sollte man nicht unterschätzen. Auch wir beide sorgen ja mit unserem Gespräch dafür, dass sich der Segelflug weiter entwickelt, da jeder darauf
Zugriff haben kann.
Ein anderer Punkt sind für mich auch die, sich daraus entwickelten neuen
Wettbewerbsformen, denn ich möchte behaupten, dass die DMSt nicht wirklich darauf ausgelegt war, die Grenzen des Segelflugs immer weiter auszuloten. Zumindest, wenn man vor hatte auch in den Wertungslisten mal oben dabei zu sein.
Dann starten wir doch nochmal einen kurzen Exkurs zur DMSt?
Das freut mich. Es gibt ja schließlich noch Generationen nach uns und wir wollen ihnen ja nicht nur große Strecken hinterlassen, sondern auch Visionen für den Segelflug.
Die DMSt stammt aus einer Zeit, als die Wetterräume noch größer waren als die
möglichen Strecken. Sowohl die Flugzeuge, aber besonders die Piloten waren damals noch in anderen Dimensionen unterwegs, da ja auch die Wettervorhersagen nicht so zuverlässig waren. Heute ist das definitiv anders und man kommt oft in Bereiche, die Wettergrenzen überschreiten. Oft hatte ich die Situation, dass ich Wenden versucht habe noch zu erreichen, obwohl es nicht sinnvoll war in diese Richtung weiter zu fliegen. Wenn die Wende schief ging, war nicht nur die DMSt-Wertung für diesen Tag verloren, sondern auch die Freie Wertung, weil man entweder außengelandet ist, den Motor gezogen hat oder einfach zu langsam war.
Ich persönlich will immer ausloten, was an einem Tag in der Luft real möglich ist, nicht was ich vor dem Flug prognostiziert habe. Dazu gehört auch zu entscheiden, wann in einer bestimmten Flugrichtung einfach Schluss ist!
Über die Jahre haben Piloten rausgefunden, welche Strecken für DMSt-Flüge gut
funktionieren und welche nicht. Es wurden Standardstrecken entwickelt, die einem ein gutes Abschneiden in dieser Wertung sicherstellen, Stichwort: Ölspur. Im Prinzip geht es dann darum, ob in der jeweiligen Saison für diese Strecken das richtige Wetter kommt oder nicht und ob es einem die persönliche Zeit erlaubt dieses Wetter zu nutzen.
Durch Experimentierfreude und Eingehen von Risiken verschlechtert man aber unter Umständen das punktemäßige Ergebnis eines Flugs.
Beispiel: Wenn ich z.B. am Abend noch 100 km über die vorher festgelegte, letzte Wende hinausfliege und dann kurz vor der Heimat doch den Motor ziehen muss, ist der Flug für mich persönlich zwar viel wert, weil ich versucht habe meine Grenzen weiter hinaus zu schieben. In der DMSt fällt man damit aber hinten raus. Das führt dazu, dass die Strecken kleiner geflogen werden, als sie tatsächlich sein könnten. Zumindest vergrößert man diese Standardstrecken nicht ohne Not, weil man sich im Zweifel für die höhere Punktzahl entscheidet und nicht für das höhere Risiko. Daher bin ich eher ein Freund der freien Strecken. Hier gibt es oft im Internet Flüge bei denen ich mir denke: "Wahnsinn, wo der hingeflogen ist, daran habe ich vorher noch nie gedacht". Die erreichten DMSt-Punkte treten für mich dabei in den Hintergrund!
Was würdest du bei der DMSt nachjustieren, wenn du könntest?
Nun, nehmen wir mal die Segelflug-Bundesliga als Beispiel. Mit meinem Index hatte ich dort lange keine Chance, ernsthaft mitmischen zu können. Der hohe Index der EB 29 ist berechtigt und ich behaupte, diesen auch ausfliegen zu können. Nicht jedoch am frühen Nachmittag, in den besten 2,5 Stunden des Tages, sondern morgens und abends. In der Bundesliga gegen ein gutes Flugzeug der Standardklasse nach Punkten mitzuhalten zu wollen, ist schwierig. Nachdem für die Bundesliga der Reduktionsfaktor eingeführt wurde, war der Leistungsvergleich wieder ein Stück gerechter und das motiviert natürlich.
Bei der DMSt würde ich persönlich an der Geometrie schrauben. Für mich ist die
geometrisch höchste Disziplin beim Streckenfliegen nicht das Dreieck, sondern sind Out & Return Flüge. Man bewegt sich im größten Wetterraum, was die meteorologische Planung anspruchsvoll macht. Außerdem hat man keine Exitstrategie, wie beim Dreieck, wo man beim Start auf dem Schenkel vor der letzten Wende abbrechen und den Heimweg antreten kann, wenn es zeitlich nicht mehr reicht. Sobald man beim Ziel-Rück an der Wende umdreht, fliege man voll gegen die Uhr, das finde ich extrem spannend.
Doch zum DMSt Dreieck: Man könnte z.B. die Bonuspunkte der „vollendeten“
Dreieckstrecke etwas reduzieren. Nehmen wir das Beispiel von vorhin: Wenn ich 100 km über die Wende rausfliege und dann wieder zurück, gewinne ich vielleicht trotzdem genügend Punkte, auch wenn ich den Flug am Abend wegen einiger fehlender Kilometer nicht mehr schließen kann.
Ein guter Punkt. Wie gehst du damit um, wenn du beim Fliegen den Kopf nicht frei hast? Startest du überhaupt?
Da ich nicht mehr arbeiten muss, hält sich diese Problematik zum Glück in Grenzen. Doch natürlich kenne ich das noch von früher. Da gingen mir ständig während des Fluges irgendwelche Dinge durch den Kopf, gelandet bin ich deshalb zwar nie. Ich merke es heute ganz klar, dass ich freier im Kopf bin und auch entsprechend entspannter fliege.
Nochmal ein paar Worte zu deinem Flieger. In der Kommentarspalte fiel die passende Bezeichnung: EB 29 LR (Long Range). Warum bleibst du deiner "alten" EB treu?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen bin ich, wie jeder weiß, in erster Linie bekennender Langstreckenpilot. Die EB 29 „R“ wurde aber ganz klar für Wettbewerbe optimiert und ist, da dort das Gewicht auf 850kg beschränkt ist, das beste Wettbewerbsflugzeug der Welt.
In Namibia war ich die letzten Jahre viel mit EB 29R Piloten im Team unterwegs. Meine Beobachtung: Solange wir mit identischen Flächenbelastungen unterwegs sind, gibt es keine Unterschiede in der Leistung und ich kann mit der „R“ problemlos mithalten. Der R- Flügel hat eine höhere Streckung und steigt bei gleicher Flächenbelastung besser, jedoch ist das bei den starken Bedingungen in Namibia kaum von Relevanz, da jeder sowieso das maximal zulässige Gewicht seines Flugzeugs ausnutzt und das ist bei meiner Edition-Version schon mal um 50kg höher als bei der „R“.
Wenn es um zentralen Wettbewerb geht, erlaubt es die höhere Flächenbelastung der „R“ bei 850kg das Flugzeug in einem höheren Geschwindigkeitsbereich zu fliegen, ohne beim Steigen große Nachteile zu haben. Durch ihr neues Profil ist die EB 29 R zudem in ihrer Thermikfühligkeit und Agilität besser.
Wenn ich mit „R“-Piloten geflogen bin, war es oftmals der Fall, dass die ihren Flieger 45° oder mehr in den vermeintlichen Bart drehen, dann trotzdem wieder aufrichten und weiterfliegen, wenn der Bart nicht stark genug kommt. Mit meiner EB ist das nicht so einfach. Drin ist drin! Und in der Regel muss ich den Kreis dann zu Ende fliegen.
Fazit: Die EB 29R paart ein besseres Handling, mit einer höheren Flächenbelastung im Wettbewerb! Sie hat jedoch für mich den Nachteil, dass ich die Spannweite nicht variieren kann. Ich fliege mit meiner EB 29 die kurze Spannweite (25m) in den Bergen, die mittlere (28m) in Namibia und die große (29m) in der Heimat. Für mich das Optimum!
Glaubst du im Schnitt mehr Umwege zu fliegen als andere Offene Klasse Piloten?
Das weiß ich nicht, aber auch hier muss man wieder zwischen der Langstreckenfliegerei und dem Wettbewerb unterscheiden. Zweiteres ist zeitlich und räumlich kompakter, dementsprechend muss auch die Taktik ausgelegt sein. Umwege, Steigwerte und Vorfluggeschwindigkeit sind zu optimieren, denn es geht um jede Sekunde und jeden km Geschwindigkeit. Beim Langstreckenfliegen geht alles etwas großräumiger zu. Hier müssen generelle, weiträumigere Entscheidungen getroffen werden und die Routenplanung ist entsprechend anzupassen. Eben weil man flächig fliegt, ist es sehr wichtig zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, da Wetter selten homogen ist.
Nehmen wir als Beispiel einen Läufer auf der 400 Meter-Strecke, der seine Kräfte anders einteilen muss als ein Marathonläufer. Beim Segelfliegen ist das nicht anders. Im Wettbewerb teilt man auch seine Kondition anders ein, als wenn man 11-12 Stunden im Cockpit sitzt. Ich würde schon behaupten, dass ich hier eher Umwege in Kauf nehme, um kräftezehrende Situationen und Risiko zu vermeiden. Wenn man mir in Namibia eine Konvergenz über 300 km hinstellt, fliege ich die natürlich auch ohne große Umwege ab. In der Heimat gibt es so etwas leider selten, aber dafür gibt es viele Lufträume, die man umfliegen muss.
Es scheint, als hättest du gutes Sitzfleisch. Hast du bestimmte Routinen
während deiner langen Flüge, um konzentriert zu bleiben?
Um ehrlich zu sein, nicht wirklich. Ich versuche mich die ganze Zeit über aufs fliegerische Optimum zu konzentrieren. Wenn ich das mal nicht schaffe, bekomme ich nach 15-20 Minuten die Quittung und bin tief. Daher liegt mein Fokus auf dem kräftesparenden Fliegen des Flugzeuges und eventuell Mitteln, die mir dabei helfen kluge, taktische Entscheidungen zu treffen.
Ich habe es mir abgewöhnt viel zu funken und der Funk ist deshalb meistens leise
eingestellt. Auch mache ich nie Fotos oder schreibe Whats-App Nachrichten, weil es mich einfach zu sehr ablenkt. Die Fotos vom 1.400 km Flug waren deshalb die absolute Ausnahme.
Was würde dich dazu bewegen, mit dem Segelfliegen aufzuhören?
Ich hatte einen guten Freund, der schon vor längerer Zeit das Segelfliegen an den Nagel gehängt hat. Er hatte immer Zeit, ist bei jeder erdenklichen Wetterlage in der Luft gewesen und war dementsprechend ein guter Pilot. Aber irgendwann hat er den Spaß am Fliegen verloren; es wurde ihm langweilig. Auch ich habe Tage, an denen ich merke, dass mir das Fliegen nicht gefällt. Ich drehe dann meistens konsequent um und lande oft schon am Mittag.
Den Spaß am Fliegen, wie auch immer der aussieht, den muss man sich bewahren. Der ist unglaublich wichtig und wenn ich den wirklich mal nicht mehr haben sollte, dann höre ich auf!
Ein langes Gespräch nach einem sehr langen Flug. Alex, vielen Dank für die ausführlichen Worte!
Die Arbeit unserer Autoren wird auch durch die vielen Menschen ermöglicht, denen WeGlide am Herzen liegt und die uns mit einem Abo unterstützen.