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Nur was du siehst, existiert

In diesem Artikel geht es nicht darum, einen Aufwind schneller zu zentrieren oder deine Vorflug-Geschwindigkeit zu optimieren. In diesem Artikel geht es darum, ein Gesamtbild dessen, was vor sich geht zu bekommen.
Nur was du siehst, existiert

Grundlegende Fragen

Bei den meisten Optimierungen der Überland-Geschwindigkeit beim Segelfliegen geht es um eine einfache Frage:

Wie viel Höhe sind wir in jedem Moment bereit, für wie viele Kilometer einzutauschen?

Um dies zu herauszufinden, müssen wir zwei andere Fragen beantworten: Wie stark glauben wir, im nächsten Aufwind zu steigen und wie gut sind unsere Alternativen?

Wir betrachten intuitiv die Wolkenformationen auf der Strecke und nutzen unsere Erfahrung aus früheren Flügen, um die Wolkenoptik den erwarteten Steigwerten zuzuordnen. Je mehr Erfahrung wir haben, desto besser werden wir in diesem Prozess. Zu Trainingszwecken schätze ich manchmal den Steigwert, den ich erwarte, kurz bevor ich in einen Aufwind fliege und bin oft überrascht, wie schlecht ich darin bin.

Es gibt weitere Informationsquellen, die wir nutzen können. Satellitenbilder, Informationen von anderen Piloten über Funk und Wettervorhersagen.

Die Frage ersetzen

In Wirklichkeit denken wir oft nicht darüber nach, wie gut der nächste Aufwind sein wird. Wir ersetzen die obigen Fragen durch eine andere:

Wie gut bin ich im letzten Aufwind gestiegen?

Das ist schließlich kein schlechter Ansatz. Wir nutzen die Informationen, die wir im Laufe des Fluges gesammelt haben. Jeder Tag ist anders und die gleiche Optik an verschiedenen Tagen kann sehr unterschiedliche Bedingungen mit sich bringen.

Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass wir uns in einem sehr schmalen Rahmen bewegen. Indem wir uns nur auf die Erfahrung und Wahrnehmung des Tages verlassen, neigen wir dazu, nicht darüber nachzudenken, wie gut das Wetter im Allgemeinen ist. Vielmehr bewerten wir, wie gut die kleine Probe der Aufwinde war, die wir getroffen haben, wobei wir mit unserer Flugspur nur einen winzigen Teil des Himmels abdecken.

Thermik Rückschau - zeigt dir was wirklich passiert ist

What You See Is All There Is

„What you see is all there is“ ist ein Begriff, der von dem Psychologen Daniel Kahneman populär gemacht wurde. Es beschreibt das kognitive Phänomen, dass unser Gehirn glaubt, dass die Informationen, welche wir haben, alle relevanten Informationen seien, die es gibt. Das ist problematisch, da wir dazu neigen, nicht nach dem zu suchen, was wir nicht sehen.

Selten verbringen wir während eines Fluges Zeit damit, zu denken: „naja, vielleicht habe ich den ein oder anderen wichtigen Aufwinden verpasst, aber vielleicht ist das Wetter ja doch nicht so schlecht. Es gibt noch viele Dinge, die ich nicht weiß über diesen Tag.“

Schlimmer noch, wie oft denken wir, nachdem mehrere starke Aufwinde getroffen wurden: „Warte, vielleicht hatte ich einfach Glück, ich sollte diesen Aufwind nicht überbewerten. Ich sollte ruhig bleiben und versuchen zu verstehen, wie sich das Wetter entwickelt.“

Die Welt um uns herum ist komplex, und das gilt auch für jenes, das in der Atmosphäre passiert. Unser Verstand ist darauf ausgelegt, ein einfaches, kohärentes Modell der Welt zu erstellen, das wir verstehen können. Wir streben nach einer kohärenten Geschichte und werden (unterbewusst) nach Informationen suchen, die unser Modell unterstützen.

Wenn wir niedrig sind und Schwierigkeiten haben, einen Aufwind zu finden, könnten uns die anderen Fälle in den Sinn kommen, in denen wir in derselben Gegend niedrig waren. Wir könnten denken: „Das Gebiet hier hab ich noch nie gut erlebt. Hat heute Morgen nicht jemand erwähnt, dass es gestern in dieser Gegend viel geregnet hat?“

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Aufwinde erscheinen und verschwinden wieder

Sich ein falsches Gesamtbild von dem zu machen, was vor sich geht, kann sehr kostspielig sein. Wenn ich an vergangene Flüge denke, bin ich erstaunt, wie schnell ich das Wetter bewerte. Allzu oft verbinde ich persönlichen Misserfolg mit schlechten Wetterbedingungen.

Wie kann man also herausfinden, ob wir das Wetter richtig eingeschätzt, oder ob wir das große Ganze übersehen haben? Um dir dabei zu helfen, wurde von uns eine neue Funktion veröffentlicht: Thermik Rückschau. Scrolle einfach über das Barogram und alle Aufwinde des Tages tauchen auf und verschwinden wieder. Du siehst alle Aufwinde, die du hättest nehmen können und erfährst, ob deine Wettereinschätzung wirklich richtig war oder ob die guten Aufwinde einfach verpasst wurden.

Unterschiedlich starke Aufwinde werden durch unterschiedliche Radien repräsentiert. Mit einem schnellen Blick siehst du, wie gut die Bedingungen in einem Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt waren.

Meine eigenen Fehler

Phasenanalyse mit Steigwerten auf der Karte und im Barogram

Werfen wir einen Blick auf meinen Flug am 16. Juli und sehen, ob wir einige dieser Fehler identifizieren können. Nach dem Start um 09 UTC in Nastätten folgte ich dem Hunsrück in südwestlicher Richtung. Die Steigwerte lagen auf dem ersten Schenkel bei rund 1,5 m/s. Bei Marpingen traf ich den ersten guten Aufwind, erreichte 2000 MSL und drehte nach Osten.

Auf den folgenden 50 km hatte ich Mühe an Höhe zu gewinnen und in das obere Band zu kommen. Die Steigwerte, die ich erreichte, lagen bei 1,6 - 2,0 m/s, aber ich konnte nur etwa 200 m pro Aufwind gewinnen. Man sieht, dass ich ziemlich viele Umwege genommen habe, aber es trotzdem nicht schaffte, hoch zu bleiben. In meinem Flugkommentar schrieb ich:

Im Saarland war die Luftmasse ziemlich ungeordnet und die Aufwinde zerrissen.

Während des Fluges habe ich das Wetter in diesem Gebiet schnell als schwierig eingeschätzt. Immerhin hatte ich viele Umwege genommen und trotzdem keinen guten Aufwind gefunden. Ich erinnerte mich, dass ich letztes Jahr auch in der Nähe von Saarbrücken, bei ähnlichen (eher trockenen) Bedingungen, Probleme hatte. Vielleicht funktioniert dieser Bereich an solchen Tagen einfach nicht so früh? Ich hatte also mein persönliches Gesamtbild dessen, was passierte.

Nach der Landung schaltete ich die Thermik Rückschau ein und merkte, dass ich mich viel schwerer tat, als viele andere Piloten. Nur ein bisschen nördlich meiner Flugspur konnte ich mehrere gute Aufwinde sehen. Einmal war ich tatsächlich einen großen Umweg geflogen, wodurch ich gute 2,7 m/s Steigen verpasst hatte. Hätte ich einen der guten Aufstiege erwischt, wären mir minutenlange Umwege erspart geblieben.

Nachdem ich auch die Satellitenbilder eingeschaltet hatte, wurde mir klar, dass ich direkt am Rand der Wolken flog (weiter südlich gab es nur noch Blauthermik) und wohl besser ein paar Kilometer nach Norden hätte fliegen sollen.

Zum richtigen Zeitpunkt die Geschwindigkeit wechseln

Das Wechseln des Rhythmus, bei sich ändernden Bedingungen, ist eines der wichtigsten Dinge beim Streckenflug. Am späten Nachmittag musste ich bei perfekten Bedingungen (131 km/h in der letzten Stunde laut Barogram) weiter östlich das Rheintal durchqueren. Die Bedingungen im Odenwald und Kraichgau waren immer noch sehr gut, mit regelmäßigen Steigwerten zwischen 3 und 4 m/s. Auch weiter westlich im Pfälzer Wald schien das Wetter weiterhin sehr gut zu sein.

Wie man auf dem Bild sehen kann, waren die Steigwerte im Rheintal zu dieser Zeit deutlich schlechter und die Aufwinde nicht so gleichmäßig verteilt. In den guten Bedingungen hätte ich noch weitere 400 m steigen sollen und wäre so mit maximaler Höhe ins Rheintal eingeflogen. Aber ich flog einige hundert Meter unter der Wolkenbasis ab und schaffte es nicht vom "Rennmodus" in den "Hochbleiben-Modus" zu wechseln.

In der folgenden halben Stunde geriet ich im Rheintal etwas tiefer und musste mehrere schwächere Aufwinde nehmen. Trotzdem gehörte ich noch zu den glücklichen, denn andere Piloten verloren in diesem Bereich deutlich mehr Zeit. Ich hatte meinen Fehler bereits in der Luft bemerkt, aber ihn mit der Thermik Rückschau nochmal in aller Klarheit zu sehen, half mir zu verstehen, wie einfach er hätte vermieden werden können.

Am Nachmittag war die Thermik im Rheintal deutlich schlechter

Abendliche Aufwinde

Spät am Tag, wenn die Steigwerte abnehmen, wird es immer wichtiger, die richtigen Aufwinde zu treffen.

Am Abend des 16. Juli kämpfte ich verzweifelt um den Endanflug. Der Wind aus Nord hatte zugenommen, der Himmel war komplett blau und ich brauchte einen letzten Aufwind für weitere 300 Höhenmeter. Ein etwa 20 Minuten vor mir fliegender Pilot meldete sehr schwache Bedingungen.

Auf der Nordseite des Hunsrück, ausgehend von einem Steinbruch, fand ich meine Fahrkarte nach Hause, 0,8 m/s. Ich dachte, ich hätte einen der wenigen verbliebenen Aufwinde gefunden und war ziemlich überrascht, als ich sah, dass es auf der Südseite (Leeseite) des Hunsrück noch mehrere andere Aufwinde gestanden hatten. Die Daten der Thermik Rückschau widersprachen also wieder dem Modell, das ich mir ausgedacht hatte.

Lösungen

Sobald du glaubst zu wissen, was vor sich geht, versuche Beweise zu finden, die deiner Hypothese widersprechen. Zwing dich, nach Dingen Ausschau zu halten, die vielleicht nicht ins Bild passen. Das Wetter ist nicht immer nur gut oder schlecht. Versuche bei der Planung deines Fluges mehrere positive und mehrere negative Punkte zu finden, beispielsweise "Die Thermik wird als ausgezeichnet vorhergesagt, aber der Wind nimmt am Nachmittag zu, was das Zentrieren erschweren könnte."

Sammel beim Fliegen Informationen aus so vielen Quellen wie möglich. Frag dich nach ein paar guten Aufwind, warum andere Piloten niedriger sind als du. Stell dir vor, du landest in der nächsten Stunde außen und versuche dir eine plausible Geschichte darüber auszudenken, was passiert sein könnte.

Ich sage nicht, dass du deiner Intuition nicht vertrauen sollst. Du solltest Vertrauen in deine Einschätzungen und Entscheidungen haben. Aber du wirst bessere Entscheidungen treffen, wenn du dich von Zeit zu Zeit hinterfragst und nicht an die plausible Geschichte glaubst.


Thermik Rückschau ist eine Funktion, die wir im Rahmen eines größeren Sommer-2022-Updates eingeführt haben. Du kannst es 14 Tage lang kostenlos testen. Wenn dir die Features nicht gefallen und du innerhalb des Testzeitraum kündigst, entstehen dir keine Kosten. Wir haben auch auf dein Feedback aus dem Newsletter gehört und die Phasenanalyse ist jetzt Teil des günstigeren Supporter-Abos.