Namibia | Segelflieger fliegen über eine Millionen Kilometer
Aus Segelflieger Sicht scheint Namibia in der Tat das Land der Extreme. Vergangene Saison gingen in knapp drei Monaten 1,2 Millionen Punkte auf das WeGlide Konto der Free-Wertung. Dies wurde von 189 Segelflug-Begeisterten in 10.375 Stunden vollbracht und das mit nur 63 Segelflugzeugen. Nicht weniger als 1,2 Millionen Kilometer wurden dabei zurückgelegt. Hier könnte ich nun wieder anfangen, mit Distanzen zum Mond oder Erdumfängen zu vergleichen, viel lieber blicke ich auf die vergangene Saison in Deutschland zurück.
In der DMSt wurden zwischen April und Ende August rund 44.000 Flüge hochgeladen und dabei im Schnitt 258 km zurückgelegt. In Namibia waren es in knapp 3 Monaten 1506 Flüge mit jeweils durchschnittlichen 806 km und 809 Punkten. Filtert man die "nachmittäglichen Spaziergänge" mit < 750 km heraus sind es sogar 995 Punkte.
Selbst der Punktdurchschnitt der Flüge > 750 km am 06. Juli, dem besten Tag des Jahres in Deutschland (955 Punkte) liegt unter dem Punktedurchschnitt über die gesamte Namibiasaison (995 Punkte). Kurzum, in Namibia geht es ordentlich zur Sache.
1100 sind die neuen 1000
Segelfliegen in Namibia - nicht wenige werden hier sofort an 1000 km denken. Wie viele Flüge haben in der 22/23er-Saison die magische Grenze in der freien Wertung geknackt?
Von den insgesamt 1506 Flügen gingen 451 über 1000 km. Jedoch ist es keine Neuigkeit, dass 1000 km lange nicht mehr die Spitze des Eisbergs sind. Am Auffälligsten ist, dass mit 201 Wertungen zwischen 1100 km und 1200 km mehr Flüge, als zwischen 1000 km und 1100 km (146) gemacht wurden. Auch Flüge über 1200 km sind mit 77 an der Zahl keine Seltenheit mehr. Wirklich rar sind die Leistungen über 1300 km (25) und insbesondere über 1400 km. Letzteres kam lediglich zweimal vor.
Übrigens, in der letzten Saison waren 7 Junioren und damit rund 5% der Piloten an dieser Leistung beteiligt. An großer Dank gilt Wilfried Grosskinsky und der Bitterwasser Flying Lodge für die jährliche Vergabe des Bitterwasser Cups.
Bitterwasser, Veronica, Pokweni oder Kiripotib?
Von wo wurde am meisten geflogen? Bitterwasser geht hier klar als aktivster Startort hervor. Mit 731 Flügen hat das Zentrum annähernd so viele Flüge eingereicht wie Veronica (357 Flüge), Kiripotib (211 Flüge) und Pokweni (205 Flüge) zusammen. Zudem sind mit 89 PilotInnen rund 50 % der Namibia-Flieger ab Bitterwasser geflogen. Beispielsweise ging es in Pokweni, mit 20 PilotInnen, wesentlich familiärer zu - man kann den Startort also ganz nach seinen Vorlieben auswählen.
Die Anzahl der Flüge und PilotInnen sind das eine, doch wie viel Punkte haben die Zentren eingereicht? Wenngleich Bitterwasser bei der Gesamtpunktzahl deutlich in Führung liegt, wurde in den anderen Zentren auf ähnlich hohem Niveau geflogen. Dies wird deutlich, wenn man sich die durchschnittlichen Punktzahlen pro Flug ansieht:
Die erreichte Gesamtpunktzahl von Bitterwasser ist in der Tat beachtlich (631.910 Punkte). Mit durchschnittlich, 864 Punkten wurden hier ebenfalls die besten Flüge eingereicht. Jedoch unterscheiden sich die Punkte pro Flug der Flugplätze nicht so signifikant wie die Gesamtpunktzahlen. So wurden auch in Kiripotib im Schnitt 700 Punkte erflogen.
In einem Aspekt wird Bitterwasser schließlich doch überboten. In Pokweni wurden mit 7618 Punkten mehr Punkte pro Kopf erflogen als in Bitterwasser (7100 Punkte). Dort scheinen also ein paar PilotInnen sehr viel und schnell unterwegs gewesen zu sein.
Künftig wieder Windenstarts in Namibia?
Wird mittlerweile nur noch im Eigenstart abgehoben? Nicht ganz, nachdem wir unsern Windenfilter bemüht haben, sind wir auf drei interessante Starts in Veronica aufmerksam geworden:
Genauer gesagt waren es Autoschlepps mit einer Umlenkrolle. Jörg Mathes hat dazu einen spannenden Kommentar unter seinen 1000km Flug geschrieben:
Dies war heute der erste Testschlepp mit der Umlenkrolle in Veronica. Dabei wird das Windenseil über eine Umlenkrolle auf das Schleppfahrzeug gelenkt. Somit steht die komplette Flugplatzausdehnung als Seillänge zur Verfügung. Vom technischen Ablauf ist es ein Windenstart, bei dem das Seil nicht aufgespult, sondern durch die Umlenkrolle durchgezogen wird. Trotz einiger technischer Probleme (Traktion, Riss der Sollbruchstelle) haben wir direkt 580 müGrund mit einer Minute Schleppzeit bei maximalen Steigen von 15,5 m/sec erreicht. Projektiert sind Schlepphöhen von bis zu 750 müGrund (abhängig von der Masse und den Windbedingungen).Mit Hilfe dieser Technik könnten schwachbrüstige Eigenstarter, elektrifizierte Eigenstarter (zum Energie sparen), Temperaturempfindliche Eigenstarter (alle AS-Modelle mit Wankelantrieb), Turbo’s (JS3T, AS33 ES, Ventus 3T,…) aber auch reine Segler in den namibischen Segelflughimmel gebracht werden.. Überraschenderweise hatte die Thermik schon begonnen, sodass ich dann ohne Wasserballast und Copilot das erste 1000er nach vielen Jahrzehnten aus der Winde in Namibia fliegen durfte.
Es bleibt abzuwarten, ob wir künftig weitere Segelflugzeugtypen über Namibia sehen werden.
63 Segelflugzeuge
Alleine die Arcen haben aus Stundensicht über ein halbes Jahr in der Luft verbracht.
Bleiben wir beim Material und werfen einen genaueren Blick auf die Flugzeugtypen der letzten Saison. Mit 63 verschiedenen Flugzeuge wurden bei WeGlide Flüge hochgeladen, die meisten davon Doppelsitzer. Von den 10.375 Stunden wurden 73 % mit Doppelsitzern geflogen, und rund dreiviertel davon mit dem Arcus. Alleine die Arcen haben also aus Stundensicht über ein halbes Jahr (5601 Stunden) in der Luft verbracht!
Im Anschluss folgt lange nichts, bis der Ventus 3M mit 950 Stunden den zweiten Platz belegt, gefolgt vom HpH 304 Twin Shark (948 Stunden).
Und welches Flugzeug wurde am meisten bewegt? Ein Arcus M? Eher das Gegenteil - das Rennen hat mit der Eta ein echter Exot gemacht. Der Flieger des Deutschen Segelflugverband e.V. ist in der letzten Saison 355 Stunden ab Veronica geflogen, was den Schnitt von 165 Stunden pro Flugzeug in Namibia ordentlich übersteigt.
Wann werden die 1500km geknackt?
Anhand der Karten werfen wir zunächst einen Blick auf die entstandenen Flugspuren der letzten Saison. Es ist erstaunlich, wie es die zahlreichen Flüge geschafft haben, einen annähernd perfekten Kreis um den gesperrten Luftraum von Windhoek zu ziehen.
Schön zu erkennen sind einige Ausreißer in alle Richtungen. Vor allem der Nord-Westen wird indessen auch immer stärker beflogen. Es lässt sich gut erkenenn, wie im November eher im Osten geflogen wurde. Erst im Dezember führen die Flugwege auch an der Kante zur Namib im Westen. Im Januar gab es noch ein paar Flüge in den Nord-Westen, der in den vergangenen Jahren nicht so hoch frequentiert war. Wir sind gespannt, was hier noch kommt.
Auch interessant ist der Blick auf die sehr großen Strecken (>1300 km). Hier wird deutlich, dass vor allem der nördliche Teil der Kante häufig in die Routenplanung der PilotInnnen mit einbezogen worden ist.
Den weitesten Flug der freien Wertung haben wir in der Karte hervorgehoben. Mit 1455 km hat Simon Schröder am 8. Januar einen historischen Flug im Quintus M absolviert und löst den langjährigen Kilometerrekord von Matthias Arnold aus 2016 ab (1433 km) - auch an dieser Stelle nochmals Gratulation Simon! Nicht einmal mehr 50 km trennen uns jetzt von den 1500 km in Namibia - es scheint nur eine Frage der Zeit.
Aus Punktsicht muss sich Simon jedoch einem Flug unterordnen. Hier konnte sich Maximilian Schäfer zusammen mit Simons Schwester Eva Schröder im Arcus M behaupten. Mit 1460 Punkten konnten die beiden Platz eins in der Saison belegen. Der Allzeit Rekord bleibt hier aber bei Matthias Arnold mit dem genannten Flug und 1533 Punkten in. Matthias ist damals einen Ventus 2cxM geflogen und war ebenfalls Gewinner des Bitterwasser Cups.
433 km in zwei Stunden
Das war die Bestleistung der Sprintwertung in der vergangenen Saison. Geflogen wurde sie von 🥇 Bernd Dolba am 25.11. Ganze 216 km/h haben die Flächen der JS 3 RES dafür zum Glühen gebracht.
Bemerkenswert ist, dass nur einer der zehn besten Sprints im Dezember geflogen wurde. Die restlichen neun Wertungen haben im November stattgefunden. Der 25.11 war zusammen mit dem 10.11 der beste Tag für schnelle Sprints. Hier tauchen jeweils vier Wertungen in den Top Ten auf.
Bernd Dolba überbot mit satten 14 km/h den zweitschnellsten Eric Schneider am 25.11. Ein Blick in die Statistik Liste gibt hier einen Einblick:
Auch wenn Eric Schneider im Mittel das bessere Gleiten hatte, konnte das ein enormer Bart über 1000 Höhenmeter kombiniert mit einem etwas schnelleren Vorflug wiedergutmachen.
Früheste Starts vor 10 Uhr
Auch in Namibia muss man zeitig los, wenn es groß werden soll, denn die Tage sind kurz. Jedem Abend hoffen alle PilotInnen beim Essen, dass der Wind nicht allzu stark aus Westen weht. Ist das der Fall, hat die Seebrise einen großen Einfluss, das nichts Gutes für einen frühen Start am Folgetag bedeutet.
Im WeGlide Magazin gibt es einen aufschlussreichen Artikel über die Namibische Wetterküche zusammen mit Bernd Goretzki, hier gibt es mehr zu dem Thema:
Was war der früheste Start in der letzten Saison und wann hoben die punkthöchsten Flüge ab? Insgesamt gab es drei Starts vor 10 Uhr Lokalzeit. Der früheste erfolgte um 9:54 Uhr ab Pokweni und endete in 1000 Kilometern. Alle Starts vor 10 Uhr fanden im Dezember statt. Bemerkenswert ist, dass der dritt frühste Start (09:58 Uhr) die 1000 km via Autoschlepp ab Veronica waren.
Die Top Ten Flüge (alle über 1400 Punkte) sind im Mittel um 10:16 abgehoben. Der punkthöchste Flug von Maximilian Schäfer & Eva Schröder um 10:01 Uhr, jedoch auch ein Flug von Tobias Welsch & Max Mensing 40 Minuten später. Es war also ordentlich Spielraum vorhanden und bekanntlich trägt noch viel mehr zu einem großen Flug bei. Hammerbärte zum Beispiel.
7,6 m/s Integriert
Oftmals schaut man beim Fliegen euphorisch auf den Integrator und wird nach dem Flug von der Phasenanalyse auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt - so stark war der Bart im Mittel gar nicht. Um so beeindruckender sind die folgenden Top-Steigwerte der letzten Namibia Saison, integriert über die kompletten Höhenmeter:
Zwei der Top 6 Steigwerte wurden mit dem 25.11 am gleichen Tag gekurbelt. Zudem stammen zwei dieser Steigwerte vom selben Piloten. Klaus Wonneberger vom AC Schwarzheide scheint einen guten Riecher für starke Bärte zu haben.
Tage mit den meisten Punkten
Am 22.11 gab es mit 35 Uploads die meisten Wertungen. Jedoch war das nicht der Tag mit den meisten Punkten. Wirft man hier einen Blick auf die Top 3 Tage, fällt zunächst die Verteilung auf: Alle Monate der Namibia Saison hatten einer dieser Tage für die PilotInnen parat.
Voran geht der 28.11 mit knapp 34.000 Punkten, gefolgt vom 31.12 und dem 08.01. Auch diese beiden Tage brachten weit über 30.000 Punkte. Doch nicht an jedem Tag waren gleich viele Flieger unterwegs. Mittelt man die Uploads, geht der 31.12, mit durchschnittlichen 1052 Punkten pro Flug als bester hervor.
1052 Punkte heben sich von dem saisonalen Schnitt von 809 Punkten zwar deutlich, aber nicht extrem, ab. Hier wird auch nochmals klar, dass den PilotInnen die Punkte nicht hinterherfliegen. Flüge weit über 1000 Punkte sind auch in Namibia weiterhin eine enorme Leistung - Gratulation an alle PilotInnen.
Zum Schluss haben wir nochmal einen kurzen Blick weiter zurück in die Vergangenheit geworfen. Kurzum, die Saison 22/23 war signifikant stärker als in 21/22. Schon alleine, dass damals lediglich 918 und im vergangenen Jahr 1506 Flüge hochgeladen wurden, sagt einiges aus. Wir freuen uns darauf, diese Statistik in den nächsten Jahren weiterzuführen. Mal sehen, was die aktuell startende Saison bringt. Wir wünschen allen UrlauberInnen eine Menge Spaß in Namibia!
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